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Das Harvard-Konzept

Das Harvard-Konzept

Titel: Das Harvard-Konzept Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Fisher
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symbolisch, und kritisieren gemeinsam die Pläne, während diese Form annehmen, und helfen dem Architekten bei der Vorbereitung einer möglichen späteren Empfehlung.
    Das geht dann so weiter, ein dritter Plan entsteht, ein vierter, ein fünfter. Wenn der Architekt dann eines Tages merkt, dass Verbesserungen nicht mehr möglich sind, sagt er: »Das ist das Beste, was ich erarbeiten konnte. Ich habe Ihre verschiedenen Interessen nach bestem Können unter ein Dach zu bringen versucht. Vieles habe ich durch übliche architektonische und bautechnische Verfahren gelöst, und nach meinem Fachurteil ist das das Beste. Hier haben Sie alles. Ich würde empfehlen, dass Sie sich für diesen Plan entscheiden.«
    Nun braucht jeder der beiden Ehepartner nur eine einzige Entscheidung zu treffen: Ja oder Nein. Sie wissen jetzt genau, wozu sie sich entscheiden. Sie können ihr jeweiliges Ja auch von dem Ja des anderen Partners abhängig machen. Das Ein-Text-Verfahren wendet die Verhandlung nicht ab vom Feilschen um Positionen, sondern vereinfacht in erheblichem Maß auch den Prozess, Wahlmöglichkeiten zu entwickeln und eine Entscheidung zu treffen.
    Wer könnte nun in Ihren Verhandlungen die Rolle des Architekten spielen? Sie können beispielsweise eine dritte Partei zur Vermittlung einschalten. Oder etwa bei Verhandlungen mit mehr als zwei Parteien könnte ein Teilnehmer der natürliche »Dritte« sein, wenn sein Hauptinteresse mehr im Zustandekommen einer Einigung |165| überhaupt und weniger in der Gestaltung der konkreten Bedingungen liegt.
    Bei vielen Verhandlungen können Sie selbst dieser Dritte sein. Nehmen wir an, Sie seien Vertreter einer Kunststofffirma, die mit einem Großhersteller von Plastikflaschen über einen umfangreichen Auftrag verhandelt. Der Kunde wünscht dabei ein spezielles Material, das nur für ihn gefertigt wird, aber die von Ihnen vertretene Firma sträubt sich, die dafür notwendigen Geräte anzuschaffen. Ihre Aufgabe besteht dann eher darin, eine Übereinkunft zwischen Ihrem Kunden und der Produktionsleitung Ihrer Firma herzustellen, als die Bedingungen auszuhandeln. Oder nehmen wir an, Sie sind Rechtsberater eines Abgeordneten, dem es eher um die Verabschiedung eines Bewilligungsgesetzes geht als um die Frage, ob dabei zehn oder elf Millionen bewilligt werden. Oder nehmen wir an, Sie sind Manager und haben eine Streitfrage zwischen zwei Mitarbeitern zu entscheiden. Sie müssen sich eher um eine Entscheidung kümmern, mit der beide leben und weiter arbeiten können, als darum, welche Alternative am Ende zum Tragen kommt. In jedem dieser Fälle mag es, auch wenn Sie unmittelbar aktiv Beteiligter sind, in Ihrem vollen Interesse liegen, sich als Vermittler zu engagieren und die Ein-Text-Verfahrensweise anzuwenden. Bilden Sie das Bindeglied in Ihrer eigenen Verhandlung.
    Der vielleicht berühmteste Gebrauch vom Ein-Text-Verfahren wurde von den Vereinigten Staaten in Camp David im September 1978 bei der Vermittlung zwischen Ägypten und Israel gemacht. Die USA hörten sich beide Seiten an, entwickelten Entwürfe, an die noch niemand gebunden war, bis die Vermittler sahen, dass eine weitere Verbesserung nicht mehr möglich war. Nach dreizehn Tagen und dreiundzwanzig Entwürfen war der Text zur Empfehlung reif. Präsident Carter gab die Empfehlung, Israel und Ägypten nahmen an. Für ein fast mechanisches Verfahren zur Beschränkung der Anzahl notwendiger Entscheidungen, zur Reduzierung der Unsicherheiten bei jeder dieser Entscheidungen und zur Vorbeugung gegen wachsendes Gefangensein in den eigenen Positionen hat dieses Verfahren Bemerkenswertes geleistet.
    |166| Das Ein-Text-Verfahren ist bei zweiseitigen (bilateralen) Verhandlungen mit einem Vermittler eine große Hilfe. Aber auch bei multilateralen Verhandlungen kann es Bedeutendes zustande bringen. Hundertfünfzig Nationen zum Beispiel können nicht auf konstruktive Weise hundertfünfzig verschiedene Vorschläge diskutieren. Sie können auch nicht auf Konzessionen hinarbeiten, die wiederum von jedem der Beteiligten abhängen. Man braucht dazu eine Methode zur Vereinfachung des Entscheidungsprozesses. Das Ein-Text-Verfahren dient dazu.
    Sie brauchen von niemandem eine Zustimmung, wenn Sie damit beginnen. Bereiten Sie einfach einen Vorschlag vor und erbitten Sie Kritik. Auf diese Weise ist es wiederum möglich, ein Spiel einfach dadurch zu verändern, dass Sie ein neues beginnen. Wenn eine Partei nicht mit Ihnen direkt sprechen will (oder umgekehrt), kann

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