Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
erpressen, oder?«
»Doch, da bin ich zuversichtlich. Spätestens, wenn wir ihm den ersten deiner Finger schicken, wird er begreifen, wie ernst es uns ist.« Mit einem plötzlichen Stoß vor die Brust beförderte er ihn in Eberhards Richtung. »Darum wird der Herzog von Franken dich mitnehmen, wenn er morgen früh von hier abzieht. Er ist der Einzige von uns, der nicht mit dir verwandt ist und folglich nicht in die Hölle kommt, wenn er dich in Stücke schneidet, verstehst du?«
Thankmar bekam seine Rache: Henning bepinkelte sich, sank auf die Knie und verbarg schluchzend den Kopf in den Armen.
Magdeburg, Juli 938
»Komm mit mir, Prinz.« Udos Tonfall verriet, dass er selber nicht genau wusste, ob es sich um einen Befehl oder eine Bitte handelte.
Tugomir stand vom Boden auf. »Wohin?«
»Der König wünscht dich zu sehen.«
Dieses Mal musste Tugomir nicht fürchten, keine angemessene Erscheinung für solch eine Begegnung zu bieten. Seit jener Nacht im Herbst, als er um Prinz Liudolfs Leben gerungen hatte, war seine Gefangenschaft sehr viel leichter geworden, dafür hatte die Königin gesorgt. Das Bodenstroh des Grubenhauses wurde regelmäßig gewechselt, und er bekam so viel Wasser, wie er wollte. Ein Kohlebecken, solange es kalt war. Vernünftiges Essen. Mehr Besuch, als ihm lieb war, vor allem von Bruder Waldered, Vater Widukind, Semela und Rada. Das Eingesperrtsein und die mangelnde Bewegung blieben eine Bürde, ganz zu schweigen von Vater Gerwalds ständiger Gegenwart, der von den Verbesserungen natürlich genauso profitierte wie sein Mitgefangener und sich inzwischen in ihrem Verlies so wohl und umhegt fühlte, dass er völlig vergaß, seine Unfreiheit zu beklagen. Vermutlich würde er protestieren, wenn sie ihn eines Tages laufen ließen …
Udo ruckte das Kinn zu dem inzwischen wieder wohlbeleibten Priester hinüber und sagte zu Tugomir: »Vermutlich siehst du ihn so bald nicht wieder. Ich hab so ein Gefühl, der König will dich freilassen.«
»Freilassen?«, wiederholte Tugomir. »Willst du sagen, ich kann nach Hause gehen? Oder meintest du, vom kleinen Käfig zurück in den großen?«
Udo verdrehte die Augen. »Du bist aber auch nie zufrieden.«
Tugomir wandte sich an den wunderlichen Priester, mit dem er dieses Loch fast ein Jahr lang geteilt, der ihn manchmal an den Rand des Wahnsinns getrieben und ihm doch mit seinen Geschichten und seinem sanftmütigen Naturell manch finstere Stunde erhellt hatte. »Viel Glück, Vater Gerwald. Und sei guten Mutes, Vater Widukind wird dafür sorgen, dass der Bischof sich deiner Angelegenheit bald annimmt.«
»Nur ist fraglich, ob sich die Dinge dann für mich zum Besseren wenden«, erwiderte Gerwald mit einem nervösen kleinen Lächeln. »Leb wohl, Prinz Tugomir. Geh mit Gott.«
Udo öffnete die Tür und ließ Tugomir höflich den Vortritt.
Als sie ins Freie hinaustraten, schloss Tugomir die Augen und blieb stehen. »Augenblick.«
Udo hielt an und gab keinen Kommentar ab. Er wusste vermutlich, dass der helle Sommersonnenschein Tugomir nach den langen Monaten blendete und in den Augen schmerzte.
»Was will er von mir?«, fragte der Hevellerprinz, die Lider immer noch geschlossen, aber das Gesicht der Sonne zugewandt.
»Woher zum Henker soll ich das wissen?«
»Du weißt immer alles.«
»Ich dachte, das bist du.«
»Komm schon.«
Udo zierte sich noch ein paar Herzschläge lang, dann sagte er: »Ich weiß nur, dass der König zu einem Hoftag nach Steele geladen hatte. Aber Herzog Eberhard ist nicht erschienen.«
»Das kann ich mir vorstellen. Eberhard wird sich gedacht haben, einmal Hundetragen ist genug.«
»Ja, mach dich nur lustig. Aber es ist gefährlich für einen König, wenn die Herzöge ihm den Gehorsam verweigern. Das darf er nicht dulden, sonst verliert der ganze Adel den Respekt vor ihm.«
Tugomir drehte sich um, sodass sein Gesicht im Schatten lag, und blinzelte versuchsweise. Schon besser. »Ich bin zuversichtlich, der König wird Mittel und Wege finden, sich wieder Respekt zu verschaffen.«
»Sei nicht so sicher. Seine Brüder sind immer noch verschwunden, alle beide. Ich wette, das hat nichts Gutes zu bedeuten. Dein Freund Thankmar könnte gefährlich werden, denn er hat viel Rückhalt und viele mächtige Freunde in Sachsen. Und Prinz Henning traue ich sowieso jede Niedertracht zu.«
Tugomir schnalzte missbilligend. »Ich bin nicht sicher, ob es sich für einen treuen Wachhund wie dich gehört, so abfällig von den Brüdern seines
Weitere Kostenlose Bücher