Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
Herrn zu sprechen.«
Udos Pranke landete unsanft auf seiner Schulter. »Komm endlich. Er wartet.«
Tugomir fand den König nicht mit seinen Ratgebern und Kommandanten in der Halle, wie er erwartet hatte. Udo brachte ihn stattdessen zu der Wiese, die zwischen dem großen Hauptgebäude und den neueren Gemächern der Königin lag. Im Schatten einer herrlichen Esche hatten die Diener einen Tisch aufgebockt und Bänke auf beide Seiten gestellt, und dort saß Otto mit seiner Gemahlin, Vater Widukind und Hennings junger Gemahlin Judith, die diskret in ihren Ärmel schluchzte. Einen Steinwurf entfernt übte sich Liudolf mit Hermann Billungs Sohn Thietmar im Holzschwertkampf, und Tugomir lächelte unwillkürlich, als er den kleinen Prinzen sah. Der Junge bewegte sich behände und zeigte schon Geschick und Schnelligkeit im Umgang mit der Waffe. Er schien die Welt um sich herum völlig vergessen zu haben. Bei jedem Treffer stieß er einen Triumphschrei aus, doch als Thietmar ihn mit einer geschickten Finte ins Straucheln brachte, ließ er sich ins Gras fallen und lachte. Es tat gut zu sehen, wie viel Vitalität und Lebensfreude er ausstrahlte.
»Das haben wir dir zu verdanken, nicht wahr?«, sagte Otto leise.
Tugomir schüttelte den Kopf. »Es liegt immer in der Hand der Götter.« Gerade ein Heiler tat gut daran, das niemals zu vergessen.
»Prinz Tugomir!« Die kleine Liudgard, die mit ihrer Puppe auf dem Schoß auf einer Decke im Schatten gesessen hatte, sprang auf, ehe ihre Amme sie am Rockzipfel erwischen konnte, und stürmte auf ihn zu. »Wo warst du denn nur so lange?«
Tugomir hob sie auf und setzte sie auf seinen Arm. »Ich musste für eine Weile fort, Prinzessin.«
»Aber jetzt hat Vater dich zurückgeholt?«
»Stimmt.«
»Soll ich dir meine neue Puppe zeigen? Sie hat echte Haare. Von einem Pferd. Willst du sie sehen?«
»Unbedingt.«
»Liudgard«, mahnte die Königin. »Dein Vater hat Wichtiges mit Prinz Tugomir zu erörtern. Ich bin sicher, für deine Puppe ist später noch Zeit. Geh zurück zur Amme. Und versuch, daran zu denken, was ich dir über das Betragen einer Dame gesagt habe.«
Liudgard verzog das Gesicht. »Besser, du lässt mich runter, glaub ich.«
Tugomir stellte sie auf die Füße. »Es ist nicht vergessen«, versprach er.
Artig ging die Kleine zu ihrer Amme zurück, hob die Puppe hoch und zeigte mit dem Finger darauf. Tugomir nickte ihr verschwörerisch zu.
Otto lud ihn mit einer Geste ein, Platz zu nehmen. »Ich wusste nicht, dass nicht nur meine Söhne, sondern auch meine Tochter solch innige Freundschaft für dich hegt«, bemerkte er.
Tugomir glitt auf die Bank ihm gegenüber. »Es hat den Anschein, als kämen kleine Sachsen besser mit mir zurecht als große.«
»Womöglich ist es umgekehrt.«
»Wer weiß.«
»Du hinkst«, bemerkte der König.
»Was habt Ihr erwartet?«, gab Tugomir zurück – schärfer, als er beabsichtigt hatte.
Otto betrachtete ihn einen Moment. Dann sagte er: »Ein unschuldiges Mädchen zu verführen ist ein Verbrechen, Tugomir, das ist bei Sachsen und bei Slawen gleich. Und Verbrecher müssen bestraft werden, damit andere ihrem Beispiel nicht folgen. Du wurdest selbst erzogen, um über dein Volk zu herrschen, also muss ich dir das gewiss nicht erklären.«
»Es ist auch ein Verbrechen, seine Nachbarn zu überfallen, sie zu unterjochen und ihnen einen Schlächter auf den Hals zu hetzen«, konterte Tugomir frostig. »Wer bestraft Euch?«
Es war einen Moment still. Dann antwortete Otto: »Gott.« Es klang beinah tonlos, und er rieb sich kurz mit beiden Händen übers Gesicht. Dann fuhr er mit festerer Stimme fort: »Thankmar hat sich mit Eberhard von Franken und Wichmann Billung verbündet und führt Krieg gegen mich. Er hat Henning gefangen genommen, um mir Zugeständnisse abzupressen.«
Gut gemacht, Thankmar , dachte Tugomir, der genau wusste, welche Befreiung diese Rebellion für seinen Freund bedeutete. Und welche Genugtuung. Doch er hielt jede Parteinahme aus seiner Stimme heraus, als er dem König antwortete: »Ja, das muss bitter für Euch sein.«
»Kannst du reiten?«, fragte Otto und wies auf das Bein, das Tugomir vor sich ausgestreckt hatte, die Ferse im Gras.
Der Hevellerprinz antwortete nicht sofort. Er trank einen Schluck aus dem Becher, den Widukind vor ihn gestellt hatte. Es war ein leichter Weißwein, süffig und kühl, genau richtig für einen Sommertag. Dergleichen hatte er lange nicht gekostet. Er stellte den Becher zurück, stützte
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