Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
Gedanken zu weit voraus, Tugomir. Du musst lernen, Gottes Wort zu verstehen. So gut es uns Sterblichen eben möglich ist. Früher oder später wird dein Herz sich seinem Wort öffnen, ich bin sicher, und dann wird dir nicht mehr so ungeheuerlich erscheinen, was er von dir verlangt. Hab Geduld, mit dir selbst und mit Gott.«
Tugomir nickte, nicht im Mindesten getröstet, und ging an das nächste Lager, wo ein Verwundeter auf ihn wartete. Der Mann lag im dämmrigen Schein eines nahen Kohlebeckens auf einer schmuddeligen Decke, und obwohl Tugomir Anweisung gegeben hatte, ihm die schweren Fälle zuerst zu bringen, schien es ihn ziemlich erwischt zu haben. Irgendwer hatte ihm ein Stück Stoff um den Kopf gewickelt, das das halbe Gesicht bedeckte – vermutlich um eine blutende Kopfwunde zu stillen. Aber schlimmer sah sein linkes Bein aus: ein offener Bruch und ein Dutzend hufeisenförmiger Blutergüsse – kein Zweifel, der Mann war zwischen die galoppierenden Pferde der Panzerreiter geraten. Es war ein Wunder, dass er nicht schlimmer aussah. Der Schwerverletzte hatte einen Arm über die Augen gelegt, und sein fleckiges Gewand war von Schweiß durchnässt.
»Warum sehe ich diesen Mann erst jetzt?«, fragte Tugomir einen der jungen Soldaten ärgerlich, die man hier zum Dienst eingeteilt hatte.
»Er gehört zu Prinz Hennings Männern«, gab der Gescholtene mit einem Achselzucken zurück. »Die Verlierer kommen immer zuletzt dran, oder? Und außerdem wollte er nicht. ›Haltet mir den verfluchten Heiden vom Leib‹, hat er wieder und wieder gesagt. Was sollten wir denn da machen?«
Tugomir ergriff die Hand des Verwundeten und murmelte: »Hab keine Furcht. Vater Widukind hier wird dir bestätigen, dass du nicht in die Hölle kommst, wenn du dir von mir helfen lässt.«
»Er sagt die Wahrheit, mein Sohn«, versicherte der Geistliche.
Der Mann wollte sich dennoch von Tugomirs Griff befreien, aber der Hevellerprinz zwang den Arm von seinem Gesicht und schob den unfachmännischen Kopfverband zurück. Und als er ihn erkannte, begriff er, wieso der Verwundete nicht von ihm hatte behandelt werden wollen und warum er sich den unversehrten Kopf verhüllte.
Tugomir richtete sich auf, verschränkte die Arme und blickte auf ihn hinab. »Sieh an. Maincia.«
»Du kennst ihn?«, fragte Widukind erstaunt.
Tugomir antwortete nicht.
Er hob den rechten Fuß und stellte ihn auf den freiliegenden Knochenbruch.
Maincias Augen quollen hervor, und sein gellender Schrei war schlimmer als alle, die sie hier heute gehört hatten.
»Was tut Ihr, Prinz?«, fragte der junge Soldat und fuhr erschrocken zurück.
Tugomir verlagerte noch ein klein wenig mehr Gewicht auf seinen rechten Fuß. Maincia schrie wieder und fing an zu heulen. Rüde aus dem Schlaf gerissen, hoben die anderen Verletzten die Köpfe oder richteten sich auf die Ellbogen auf, und ein Raunen erhob sich.
Widukind packte Tugomir am Arm und riss ihn zurück. »Zeig Erbarmen, Tugomir«, verlangte er. »Es ist schwer, aber das ist es, was Jesus Christus von uns …«
»Weißt du, wer das ist?«, fiel Tugomir ihm schneidend ins Wort.
Widukind nickte beklommen. »Er ist der Mann, der durch das Fenster der Kapelle der Eresburg die Lanze auf Prinz Thankmar geworfen hat.«
Tugomir befreite seinen Arm mit einem Ruck, beugte sich über sein wehrloses Opfer und riss mit beiden Händen sein Obergewand auseinander. Maincia kniff die Augen zu und keuchte. Was Tugomir unter seinen Kleidern enthüllt hatte, war eine schwere Kette, deren kostbare Goldglieder selbst hier im Dämmerlicht satt schimmerten. »Und anschließend ist er zurückgekehrt und hat Thankmars Kette gestohlen«, erinnerte er den Geistlichen und wies auf das kostbare Schmuckstück. »Ein Mörder und ein Dieb, Widukind. Und gestohlen und gemordet hat er auf geweihtem Boden. Was sollen wir mit ihm machen, hm? Was schlägst du vor? Was schlägt Gott vor?«
»Wieso hat der Narr die Kette behalten?«, murmelte der Soldat kopfschüttelnd vor sich hin. »Jeder Mann in Sachsen hätte sie sofort als Prinz Thankmars erkannt.«
»Eben deswegen«, sagte Tugomir. »In Sachsen konnte er sie nicht verhökern, also ist er mit Prinz Henning nach Lothringen gezogen, um es dort zu tun. Stimmt’s nicht, Maincia? Und somit hast du obendrein auch noch deinen König verraten.« Er packte die Kette mit der Rechten und drehte sie, bis sie den schwerverletzten Mann würgte und er zu röcheln begann.
»Auch deswegen müssen wir ihn dem König
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