Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
Zofe meiner Schwester, mein König. Sie ist eine Spionin. Wenn Ihr Euch je gefragt habt, warum die Äbtissin von Quedlinburg über jeden Eurer Schritte im Bilde ist, noch ehe ihr ihn getan habt, ist dies hier die Antwort. Dieses durchtriebene Miststück bespitzelt Euch und meine Schwester im Auftrag Eurer Mutter.«
Die in der Halle versammelten Ratgeber des Königs sahen fassungslos auf die dicke, heulende Magd in ihrem unscheinbaren Kleid aus ungewalkter Wolle hinab.
»Das ist doch lächerlich«, knurrte Wichmann verächtlich vor sich hin, ruckte dann das Kinn in Egvinas Richtung und fuhr fort: »Es wird Zeit, dass der König Euch endlich verheiratet, damit Euch die Flausen aus dem Kopf getrieben werden. Wie könnt Ihr …«
»Habt Dank, Wichmann«, unterbrach Otto ihn scharf. Er zweifelte nicht daran, dass Egvina die Wahrheit sagte. Sie war eine kluge Frau, wusste er, und selbst eine listenreiche Spionin, wie Thankmar ihm einmal offenbart hatte. Und außerdem erklärte es so viele Dinge, die ihm bislang rätselhaft gewesen waren. Gundula wich so selten wie möglich von Edithas Seite. Und wenn er sie in der Vergangenheit hinausgeschickt hatte – nicht selten schroff, weil er sie nicht mochte –, hatte sie vermutlich an der Tür gelauscht oder durch ein Astloch in der Bretterwand gespäht. Falls sie wirklich auf der Lohnliste seiner Mutter stand, dann war es kein Wunder, dass Henning ihm so oft einen Schritt voraus gewesen war, denn es gab nicht viel, was Otto vor seiner Frau geheim hielt. Er beriet sich mit ihr. Ließ sie teilhaben an seinen Plänen. So war es vom ersten Tag ihrer Ehe an gewesen, denn Editha hatte die Schriften vieler Gelehrter und ihres Großvaters, des großen Königs Alfred, gelesen, und Otto wäre töricht gewesen, ihr Wissen nicht zu nutzen. Darum hatte er seiner Frau größeren Anteil an seinem Leben gewährt als die meisten anderen Männer es gutheißen würden, und Abgründe taten sich auf bei dem Gedanken, was seine Mutter von Gundula alles erfahren haben mochte.
Er sah zu seinen Ratgebern. »Seid so gut und lasst mich einen Moment allein mit meiner Schwägerin, Freunde.«
Niemand zögerte. Doch als sein Bruder sich erhob, schüttelte der König den Kopf. »Du bleibst, Brun.«
Er wartete, bis die anderen gegangen waren. Dann sah er auf Gundula hinab. Was für ein Schlag für Editha dies sein würde. Vom ersten Tag an hatte sie eine schützende Hand über Gundula gehalten, hatte ihr Brot und Arbeit gegeben, ihr Vertrauen geschenkt, hatte sie gegen Ottos Antipathie verteidigt. Jetzt würde sie furchtbar enttäuscht sein und sich schuldig fühlen, weil sie verhindert hatte, dass der König auf sein warnendes Gefühl hörte und ihre Zofe fortschickte. Allein dafür hätte er Gundula das Genick brechen können. Doch er nahm sich zusammen. »Sei still«, sagte er lediglich.
Gundula zuckte ob seines Tonfalls zusammen wie unter einem Peitschenhieb, machte sich noch ein wenig kleiner, fuhr sich schniefend mit dem Ärmel über die Nase und verstummte.
»Wie hast du es herausgefunden?«, fragte Otto seine Schwägerin.
Er hatte Egvina seit Monaten kaum gesehen, ging ihm auf. Nach Thankmars Tod hatte sie zur allgemeinen Empörung ihre kostbaren Gewänder und ihren Schmuck abgelegt und sich in schlichtes Tuch wie eine Nonnentracht gekleidet, um ihre Trauer zu bekunden. Witwen taten es oft so, selbst wenn sie nicht in ein Kloster oder Stift eintraten. Aber Egvina war nun einmal keine Witwe, und der Hof empfand ihre öffentliche Trauer als Skandal, als Provokation und Mangel an Anstand. Abt Hanno hatte sich bei Otto und Editha darüber beklagt und angedeutet, Egvina täte besser daran, sich in ein Büßerhemd zu kleiden.
Streng genommen hatte er natürlich recht, aber Otto wusste, Egvinas Schmerz war tief und bitter, und er hatte Hanno um Nachsicht gebeten. Egvina hatte sich auch außerhalb der Gottesdienste kaum in der Öffentlichkeit gezeigt, sodass das Getuschel allmählich verstummte.
Jetzt war indes mehr als ein Jahr seit Thankmars Tod vergangen, und offenbar hatte sie beschlossen, ins Leben zurückzukehren. Das dunkelblaue Kleid war immer noch dezent für ihre Verhältnisse, aber sie trug den Saphir, den Thankmar ihr geschenkt hatte.
Mit einer verächtlichen Geste wies sie auf Gundula hinab. »Ich habe sie vor einem halben Jahr schon einmal mit dem Ohr an Edithas Tür erwischt, als Ihr und die Königin Euch zurückgezogen hattet. Aber sie hat mir irgendein Märchen erzählt, und ich
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