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Das Haus am Abgrund

Das Haus am Abgrund

Titel: Das Haus am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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in seinen Augen. Einen Moment lang schien er sie nicht zu erkennen, dann belebte sich seine Miene. »Nova«, sagte er und legte die Palette auf einen farbverschmierten Hocker. Dann sah e r Jamie an und seine Mundwinkel kräuselten sich ironisch. »Du bringst einen Freund mit?«
    November und Jamie begannen gleichzeitig zu reden. Jamie setzte sich durch: »Ich wollte sagen, das mit gestern – ich hab mich benommen wie ein Arschloch. Es tut mir leid. Ehrlich.«
    Adrian sah ihn reglos an. Es war nicht ganz klar, ob er Jamies Worte überhaupt gehört hatte. November wandte ihren Blick von seinem Gesicht ab und betrachtete die Bilder, die rundum an den Wänden des kleinen Zimmers standen und hingen. Wie konnte man in so einem Zimmer schlafen, ohne sich angestarrt zu fühlen?
    »Okay«, sagte Adrian so unvermittelt, dass November zusammenzuckte. »Schon vergessen. Wollt ihr Tee?«
    Jamie hob die Schultern und nickte. Er begann sich nun ebenfalls die Bilder anzusehen. »Hast du die gemalt?« In seiner Stimme schwangen gleichzeitig Faszination und Abscheu mit. November konnte es nachvollziehen. Die Augenbilder waren großartig und dabei vollkommen krank. Irre. Ein Horrorkabinett aus glotzenden Pupillen. Sie schauderte.
    »Tee, gerne«, sagte sie laut. »Sollen wir in den Garten gehen?«
    Adrian lächelte, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Super Idee.«
    Im Freien, unter dem breit ausladenden Magnolienbaum, wich die Klammer um Novembers Brust. Sie atmete tief ein und aus und lächelte. »Das ist so schön hier!«
    Im Schatten des Baumes stand ein Gartentisch, daneben eine Bank. Adrian, der sie hatte vorgehen lassen, kam jetzt mit einem Tablett in der Hand hinterher. »Setzt euch auf die Bank«, sagte er und stellte das Tablett ab. »Ich nehm den Hackklotz.«
    N ovember musste an ihre erste Begegnung denken. Sie sah, dass er das Gleiche dachte, und lächelte in sich hinein.
    Jamie nahm den Becher entgegen und warf einen Blick zu der eingestürzten Mauer. »Wie ist das so, wenn man direkt neben dem Haus wohnt?«
    Adrian grinste. »Wieso, wo wohnst du denn? Direkt neben einem Fischkutter?«
    November ging dazwischen, ehe Jamie eine wütende Antwort geben konnte: »Könnten wir das Thema wechseln? Ich hab da keine Lust drauf.« In ihrem Magen flatterte ein verängstigter Vogel und schien herauszuwollen.
    Die beiden Jungen senkten die Köpfe über ihre Becher und schwiegen. Dann sagte Adrian: »Sollen wir mal rübergehen?« Sein Blick, beinahe so hypnotisch, irritierend und erschreckend wie der seiner Bilder, fixierte sie und ließ sie starr wie ein Kaninchen vor der Schlange dasitzen. Fluchtgedanken. Sie umklammerte ihren Becher, unfähig, etwas zu sagen oder zu tun. Was bezweckte er damit? Was wollte er im Haus ?
    »Nein«, hörte sie sich sagen und gleichzeitig Jamie Hewetts Stimme: »Ja, los.« Er stand schon, hatte seinen Becher abgestellt und die Hände in die Jackentaschen gestopft. Sein Gesicht war düster. »Los«, wiederholte er. »Du gehst zuerst.« November sah, dass er Angst hatte, genau wie sie. Niemand aus dem Dorf näherte sich jemals dem Haus. Dieser Ort hier, das Kutscherhaus, bezeichnete die Grenze.
    Sie sprang auf und wich zur Gartentür zurück. »Ich gehe nicht mit«, sagte sie. »Ihr müsst da alleine hin.« Sie öffnete die Gartenpforte und rettete sich auf die Straße. Ihre Hände waren kalt und feucht. Winterkind.
    J amie Hewett tauchte an ihrer Seite auf und legte den Arm um ihre Schulter. Sie ließ es geschehen. Sein Körper war warm und der Griff seines Armes tröstlich fest. »Gehen wir zum Hafen«, sagte er leise, und dieses Mal stimmte sie zu.
    Und er ist doch verrückt. Diese Bilder, die er malt. So etwas malt nur jemand, der innendrin ganz und gar kaputt und irre ist. Ich gehe ihm lieber aus dem Weg. Adrian Smollett, der im Kutscherhaus wohnt. Das Haus macht jeden verrückt, der ihm zu nahe kommt ...

12
    ADRIAN
    Ich habe es gewusst, dass ich das mit dem Tagebuch nicht durchhalten würde. Ich sitze da, starre aus dem Fenster und fange endlich aus lauter Verzweiflung über die fehlenden Worte an, Muster in mein Skizzenbuch zu kritzeln. Aus den Mustern entwickeln sich Formen, Gesichter, Gestalten. Eine lange Figur, dürr wie ein Zaunpfahl, düster wie ein Schatten, mit einem hohen Hut. Nur die Augen leuchten aus seiner Silhouette. Neben ihm eine spinnenbeinige Gestalt mit stachelig abstehendem Haar und spitzen Schuhen. Ich schüttle mich unwillkürlich und überkritzle hastig die beiden

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