Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
Filmstars abstiegen. Das Design war kühl, die Beleuchtung dunkel. Die Angestellten sahen sämtlich wie Models aus. Wir meldeten uns bei der Rezeptionistin. Fünf Minuten später saßen wir der Managerin gegenüber, einer jungen, eleganten Frau. Sie hatte bereits am Telefon mit Charlie in Boston und Walter in Melbourne gesprochen. Nein, versicherte sie uns, natürlich mache es ihr nichts aus, auch mit uns zu reden. Sie klickte mit ihren langen Fingernägeln auf ihrem Notebook herum. Ja, Jess hatte definitiv vor vier Tagen ausgecheckt. Nein, sie hatte keine Adresse hinterlassen. Ja, das Hotel wurde per Video überwacht. Falls wir das wirklich für nötig hielten, würde sie veranlassen, dass wir uns die Bänder ansehen konnten.
Unter ihrer geschäftsmäßigen Höflichkeit verbarg sich Skepsis. Jess war beinahe zweiundzwanzig, angehende Musical-Darstellerin und zum ersten Mal in London. Wenn sie jetzt ihre Freiheit nicht genoss, wann dann?
Lucas schien ihre Gedanken zu erraten. Ohne ins Detail zu gehen, erklärte er, dass Jess persönliche Probleme habe. Er nannte das Wort »gefährdet«. Die Haltung der Managerin änderte sich augenblicklich.
»Sie hat eine Woche hier gewohnt«, sagte ich. »Vielleicht hatte sie mit einigen Ihrer Angestellten häufiger Kontakt?«
»Unsere Mitarbeiter sind zu allen Gästen freundlich und höflich«, erwiderte sie. »Darauf legen wir großen Wert. Aber ich werde mich selbstverständlich umhören. Haben Sie ein Foto?«
Hatten wir nicht. Wir zeigten der Managerin Jess’ Facebook-Seite auf dem Notebook. Dort waren Dutzende Fotos.
»Eine Schönheit«, sagte die Managerin. »Ich bin sicher, dass sich jemand an sie erinnert.«
Wir bedankten uns und gaben ihr unsere Handynummern.
Als Nächstes versuchten wir es bei den Theatern. Wir sprachen mit drei Kassenleitern, bis uns aufging, wie sinnlos dieses Unterfangen war, solange wir keine Fotos von Jess dalassen konnten. Schon als ich ihr Äußeres beschrieb – klein, hübsch, üppiges Haar, australischer Akzent –, ging mir auf, dass ich Hunderte junger Frauen aus London beschrieb.
Als wir zurück zur U-Bahn gingen, dachte ich, ich hätte sie gesehen, wie sie mit dem selbstbewussten Gang einer Tänzerin über die Pflastersteine schritt. Ich rief nach ihr. Das Mädchen wandte sich um, aber nicht zu mir, sondern um die Richtung zu ändern. Es war nicht Jess.
An der Paddington Station trennten wir uns. Ich machte mich auf den Weg nach Heathrow. Lucas wollte von zu Hause aus bei den Theatern anrufen und sich nach dem Zeitplan der Auditions erkundigen. Außerdem wollte er Flyer ausdrucken. Und die Polizei anrufen.
Erst als ich im Zug saß, auf halbem Weg zum Flughafen, holte ich Aidans Brief aus meiner Tasche. Ich riss den Umschlag auf. Im Innern war nur eine Seite. Ich faltete sie auseinander.
Die Nachricht drang erst nach dem dritten Lesen zu mir durch.
Kapitel 40
Liebes Tagebuch,
das hier wird kein Eintrag. Ich schreibe das nur auf, damit ich einen Beleg habe, falls ich mich doch noch entschließe, zur Polizei zu gehen. Am liebsten würde ich Mum anrufen, aber ich habe nicht mal ihre Nummer. Die war in meinem Handy, aber mein Handy ist weg, wie auch mein restliches Geld, aber das Allerschlimmste ist, ich könnte schwanger sein oder mir eine Geschlechtskrankheit geholt haben. Ich weiß nicht, was ich tun soll.
Ich schreibe erst mal alles auf. Genau, wie es passiert ist.
Ich war um neun Uhr zurück zu Ben gegangen. Er war auch gerade erst nach Hause gekommen. Wenn ich Geld gehabt hätte, hätte ich ihm zum Dank eine Flasche Wein gekauft, aber das konnte ich mir nicht leisten, darum habe ich eine Flasche Cidre gekauft. Das war das Billigste, was der Bottle-Shop oder Off-Licence oder wie das hier auch immer heißt, hatte. Aber Ben war das sowieso egal, denn er hatte zwei Flaschen Champagner, echten Champagner, hervorgeholt, und Zach, der auch da war, hat gelacht und gesagt: »Aha, du hast den Schlüssel zu unserem Zauber-Keller wiedergefunden.« Und ich: »Welcher Zauber-Keller?« Zach hat wieder gelacht und gesagt: »Vor langer Zeit, Jessica, gab es ein Zauber-Land, und darin befand sich ein Zauber-Keller, und darin befanden sich die zauberhaftesten Dinge, alles, was man sich nur wünschen oder brauchen konnte, von der cremigsten Seife zu den weichsten Handtüchern, Laken und Kissenbezügen bis hin zum edelsten Champagner und …«
»Halt die Klappe, Zach«, hat Ben gesagt. »Wenn du keine Fragen stellst, müssen wir nicht
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