Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
sie gesagt. Und er hatte ihr die Arme entgegengestreckt, nach der achtstündigen Autofahrt wollte er dringend aus seinem Sitz befreit werden, und »Ess! Ess!« gerufen. Dann hatten alle gelacht. Und Walter hatte gesagt: »Sie kann toll mit Babys umgehen, oder?«, und Mum erwidert: »Jess kann niemand widerstehen.«
Und ich hatte den Stachel der Eifersucht gespürt. Obwohl wir im Zentrum der Aufmerksamkeit standen, obwohl alle im Kreis um mein Baby herum versammelt waren, obwohl der ganze Aufruhr stattfand, um uns in Melbourne willkommen zu heißen, um Felix zu bestaunen, war ich eifersüchtig auf Jess. Es passte mir nicht, wenn sie mit ihm zum Spielen in den Garten ging. Ich ließ sie fünf Minuten allein, dann holte ich ihn mir zurück. Felix war mein Baby, nicht ihres.
Aber im Laufe der Monate hatten wir über Felix eine Brücke zueinander gebaut. Durch Felix hatten wir etwas teilen, über etwas reden und lachen können, was nicht durch schwierige Kindheitserinnerungen belastet war. Jess hatte Felix geliebt. Sie hatte ihn wirklich geliebt. Sie war fantastisch mit ihm umgegangen – ihre Geduld war unerschöpflich gewesen. Sie hatte stundenlang mit ihm auf dem Boden gehockt und Kuckuck gespielt oder aus Bauklötzen Burgen gebaut. Oft länger, als ich es ausgehalten hatte. Er fand es toll, wenn sie für ihn sang und tanzte. Er hatte gelacht, aus vollem Herzen gelacht, wenn sie für ihn den Clown gab. Und das hatte sie stundenlang getan. Sie waren das perfekte Gespann. Er hatte Unterhaltung. Sie ein Publikum. Elix und Ess.
Sie war bei der Beerdigung gewesen. Ich hatte sie nicht gesehen. Ich wollte sie nicht sehen. Ich hatte niemanden gesehen. Das war der schwerste Tag in meinem Leben, dort in der Kirche zu stehen, in der Bank neben dem kleinen weißen Sarg, und mir vorzustellen, dass darin …
Zwei Wochen nach der Beerdigung war ich zu einem Arzt gegangen. Aidan hatte mich gedrängt. Er mache sich solche Sorgen, ich solle bitte mit jemandem reden. Der Arzt wollte mir Antidepressiva und Schlaftabletten verschreiben. Ich hatte abgelehnt. Ich hatte Angst vor den Nebenwirkungen. Ich hatte Angst, die Medikamente könnten den Teil meines Gehirns angreifen, in dem die Erinnerungen an Felix abgespeichert waren. Der Arzt hatte gesagt, ich bräuchte etwas, die Tabletten würden mir in der Anfangszeit helfen. Ich war gegangen. Ich wollte die Gedanken an Felix nicht unterdrücken. Sie waren alles, was mir von ihm geblieben war.
Als ich im Anschluss nach Hause gekommen war, war aus Felix’ Zimmer ein Geräusch gedrungen. Aidan hatte dort auf dem Boden gesessen, neben einem Karton. Er packte Felix’ Spielsachen hinein. Zumindest hatte er das vorgehabt. Doch der Karton war leer. Aidan hatte auf dem Boden gehockt, zwischen Spielzeug und Büchern, und so heftig geweint, er hatte mich gar nicht gehört. Er hatte mich erst bemerkt, als ich losgeschrien hatte.
Inzwischen habe ich verstanden, was er vorhatte. Damals hatte ich es nicht verstanden. Damals hatte ich gebrüllt, er solle Felix’ Sachen ja nicht anrühren. Ich hatte ihm nicht zugehört, als er sagte, dass er mir nur helfen, nur versuchen wolle …
»Mir helfen ? Wie willst du mir helfen? Das ist doch alles deine Schuld, begreifst du das denn nicht? Es ist deine Schuld!«
Da hatte ich es zum ersten Mal ausgesprochen. Ich hatte es die ganze Zeit gedacht, aber nie gesagt. Nun war es gesagt. Jess war mit Felix in den Park gegangen, aber wenn Aidan nicht in die überraschende Arbeit eingewilligt und Jess gebeten hätte, auf Felix aufzupassen, wäre all das nicht passiert.
Damit änderte sich alles zwischen uns. In diesem Moment, mit diesem Satz. Wir waren noch einen Monat zusammengeblieben, doch meine Worte hatten im Raum gestanden. Ich konnte Aidan nicht ansehen, ohne ihm Vorwürfe zu machen. Er selbst machte sich Vorwürfe. Wenn ich ihn ansah, erkannte ich seine Schuldgefühle. Wir schliefen im selben Bett, doch wir fassten uns nicht an. Einmal hatte er Anstalten gemacht, mich zu umarmen, doch ich war nicht darauf gefasst gewesen und war zurückgewichen. Zusammengefahren. Das war unsere letzte Berührung.
Nun, viele Monate später, hielt ich etwas in der Hand, was er berührt hatte. Einen Umschlag, den er versiegelt hatte. Darin ein Papier, das er beschrieben hatte …
Ella, ich will die Scheidung.
Ich sah die Worte so deutlich vor mir, als hätte ich den Brief bereits geöffnet. Ich kniff die Augen zusammen. In meinem Kopf war nur ein
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