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Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica McInerney
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dann ist sie in den Gang getreten und hat die Arme um den Sarg geschlungen, das war so ungeheuer traurig. In dem Moment musste ich auch weinen und hatte nicht mehr aufgehört. Ich hatte tagelang geweint. Ich konnte nicht mehr schlafen. Ich hatte nur noch gesehen, wie Felix stürzt und ich ihn nicht halten kann. Es hatte sich mir ständig im Kopf herumgedreht, da konnten die anderen sagen, was sie wollten – dass es ein Unfall war, das haben Mum und Dad immer wiederholt, auch Aidan hatte es zu mir gesagt, aber es hatte nicht geholfen. Wie sollte es denn helfen, wenn Felix tot war, und er war meinetwegen tot.
    All das habe ich gestern Abend Ben und Zach erzählt. Sie haben mich nur angesehen, als könnten sie nicht glauben, was sie da hörten.
    »Warum hast du das nicht längst erzählt?«, hat Ben gefragt.
    »Klar, Ben, bei unserem ersten Drink. ›Ach, ich habe übrigens meinen kleinen Neffen umgebracht.‹«
    »So was darfst du nicht sagen«, hat Ben gesagt, und er war wirklich wütend. »Du hast ihn doch nicht umgebracht. Das war ein Unfall.«
    »Aber der Unfall ist passiert, weil ich auf Felix aufgepasst habe. Ich habe ihn umgebracht. Wäre ich nicht gewesen, wäre er heute noch am Leben.«
    »Aber du hast das doch nicht absichtlich getan. Du wolltest ihn doch nicht töten. Das war ein tragisches Schicksal.«
    Und dann haben die beiden darüber gesprochen, was Schicksal ist, Vorherbestimmung, und gesagt, dass Felix vielleicht ein kurzes Leben vorausbestimmt war. Dass es, wenn es nicht an diesem Tag geschehen wäre, vielleicht ein andermal geschehen wäre. Dass er vielleicht vor ein Auto gelaufen wäre oder Leukämie bekommen hätte. Ich weiß, sie waren betrunken, und ich weiß, dass sie mich irgendwie trösten wollten, aber ich habe das nicht ertragen. Dass sie so über Felix geredet haben, meinen kleinen Elix.
    Irgendwie musste ich sie zum Schweigen bringen, und darum bin ich aufgestanden und habe ihnen mein Tattoo gezeigt. Das hatte ich freiwillig noch niemandem gezeigt. Es ist ganz klein, in den kleinsten Buchstaben, die der Tätowierer stechen konnte, doch damals musste ich Felix’ Leben irgendwie an mir markieren und Schmerz für Felix spüren. Ich weiß, das klingt albern – als ob das irgendetwas ändern würde –, aber es hat wirklich wehgetan, und ich war froh, dass es so wehgetan hat, weil ich Felix wehgetan habe. Ich habe ihn sterben lassen, und darum musste ich diese Schmerzen spüren.
    Ich hatte mir von dem Tätowierer Felix’ Namen genau an die Stelle schreiben lassen, an der ich Felix zuletzt gemessen hatte. Das war unser kleines Ritual, immer, wenn ich ihn gesehen habe, in Canberra oder Melbourne, wenn Ella und Aidan mit ihm bei uns waren, habe ich gesagt: »Wow, Elix! Du bist aber groß geworden. Du bist ja bald größer als ich!« Und dann habe ich ihn hochgehoben, über meinen Kopf, und er hat immer so gelacht. Wir hatten das auch an dem Tag in der Wohnung getan und noch einmal auf dem Weg zum Park. Er war neben mir hergegangen, an meiner Hand, und ich hatte ihn in die Luft gehoben, wieder abgesetzt und gesagt: »Ich glaube, wir müssen dich noch einmal messen, Elix, ich habe das Gefühl, dass du in den letzten fünf Minuten schon wieder gewachsen bist.« Und dann haben wir uns Seite an Seite gestellt, ich habe gemessen, wohin sein Kopf reicht, und gesagt: »Du bist ja wirklich gewachsen! Du bist wie die Bohnenranke in Hans und die Bohnenranke! Du reichst mir schon bis hier, sieh mal!« Und dann habe ich ihm die Stelle an einer Blume auf meinem Rock gezeigt. Den Rock hatte ich mir angezogen, als ich in das Tattoostudio gegangen bin, damit Felix’ Name exakt an die richtige Stelle kommt.
    So, glaube ich, hat es angefangen. Mit dem Stechen. Als der Tätowierer seine Nadel angesetzt hat, ist es mir ein bisschen besser gegangen. Zwei Nächte später war ich wieder von Alpträumen wach geworden und in die Küche gegangen, um mir ein Glas Wasser zu holen. Mums Nähkorb hatte auf einem Regal gestanden, nicht, dass sie den häufig benutzt, sie ist nicht der Typ für Handarbeiten, aber Nadeln waren in dem Korb. Also habe ich mir eine mit in mein Zimmer genommen und mich im Dunkeln auf das Bett gesetzt und sie mir in die Haut gestochen, an der Taille, wo die Haut ganz weich ist. Das hat so wehgetan, aber mir war klar, dieser Schmerz würde nie so schlimm wie der, den ich Felix und Ella und Aidan zugefügt habe. Also habe ich immer weitergemacht, bis Blut gekommen ist, aber erst nach dem

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