Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
Wort.
Nein.
Nein.
Wollte ich mich nicht von Aidan scheiden lassen? War es so? Wollte ich nicht, dass er sich von mir scheiden ließ?
Du hast ihn im Stich gelassen, Ella. Lucas’ Worte.
Plötzlich sah ich nur noch vor mir, wie Aidan in Felix’ Zimmer hockte. Auf dem Boden, unter Tränen. Ich hatte ihn daran gehindert, das Zimmer auszuräumen. Ich hatte ihn aus dem Zimmer geworfen. Die Tür verschlossen. Und es niemals mehr betreten. Wer hatte es am Ende ausgeräumt? Wer hatte die Spielsachen weggepackt, die Bücher, die Kleider? Wer hatte die Bilder abgehängt? Aidan? Ganz allein?
Eine weitere lang verdrängte Erinnerung meldete sich. Eine Nachricht von Mum, auf meiner Voicemail. Eine kurze Nachricht, mit sanfter Stimme, sie sei auf dem Weg nach Canberra, um Aidan beim Packen zu helfen. Das waren ihre Worte gewesen. Zwei Tage später eine weitere Nachricht. Sie war wieder in Melbourne. Sie hatte alles mitgenommen. »Ich werde alles bei uns aufbewahren, Ella. Es ist hier in guten Händen, das verspreche ich dir.«
Ich hatte nicht zurückgerufen. Ich hatte nicht zurückgerufen, obwohl sie mir gesagt hatte, dass sie und mein Mann sich um die Spielsachen und die Kleidung meines Sohnes gekümmert hatten.
»Ist hier noch frei?«
Vor mir stand eine ältere Dame, ein Schirm in der Hand, ein kleiner Hund zu Füßen.
Ich erhob mich. »Bitte, die Bank gehört Ihnen. Ich wollte sowieso gerade gehen.«
»Sind Sie sicher? Ich wollte Sie nicht vertreiben.«
»Ich bin absolut sicher.«
Ich ging zu Lucas. Ich war bereit, den Brief zu lesen, aber nicht allein. Ich wollte Lucas bei mir wissen. Ich wollte ihn neben mir wissen, wenn ich Aidans Brief las. Ich wollte, dass er mir half, die Nachricht zu bewältigen.
Ich hatte den Schlüssel noch nicht ins Schloss gesteckt, da ging die Tür schon auf. Lucas hatte offenbar auf mich gewartet.
»Lucas, ich habe ihn noch nicht gelesen. Ich hätte gern, dass du …« Ich unterbrach mich. »Was ist los? Ist was passiert?«
»Deine Mutter hat gerade angerufen. Charlie ist auf dem Weg nach London. Jess ist verschwunden.«
Kapitel 39
Ich rief Mum sofort zurück. Lucas hatte mir schon das Wesentliche berichtet, doch ich wollte alle Einzelheiten von ihr hören.
Sie weinte. Es dauerte eine Weile, bis sie sich beruhigte. »Wir wollten dir das nicht erzählen, Ella. Du solltest überhaupt nicht erfahren, dass Jess in London ist. Aber sie hat so dringend Luftveränderung gebraucht. Wir haben uns solche Sorgen um sie gemacht, und wir haben gedacht, vielleicht hilft ihr eine neue Stadt, ein paar Auditions, vielleicht hat sie dann wieder etwas, worauf sie sich freuen kann. Natürlich ist die Szene in London brutal, doch wir haben gedacht, ein paar Wochen in der Ferne tun ihr gut. Sie ist eine wirklich tolle Sängerin und Tänzerin, aber ihr fehlt Erfahrung. Wir wollten, dass sie sich ausprobiert, damit sie das Gefühl bekommt, etwas erreicht zu haben, dass sie doch noch etwas schafft. Es war so schwer, sie zu irgendetwas zu motivieren. Wir haben uns solche Sorgen gemacht. Dann hat sie auch noch ihre Medikamente abgesetzt und …«
»Welche Medikamente?«
»Seit das passiert ist, nimmt sie immer wieder Antidepressiva. Und darum hatte ich solche Angst, dass sie sich wieder selbst verletzt. Sie hat zwar damit aufgehört, aber wir waren so …«
»Sie hat was getan?«
»Sie hat sich selbst verletzt. Ella, lass uns nicht darüber sprechen. Nicht diese Woche. Ich weiß doch, welches Datum näher rückt …«
»Mum, bitte.«
Dann erzählte sie mir alles. Jess war in den vergangenen zwanzig Monaten psychologisch betreut worden. Sie hatte Medikamente nehmen müssen. Nach dem Vorfall hatte sie wochenlang geweint. Schließlich hatte sie es geschafft, gelegentlich wieder ins College gehen und in Mums Show aufzutreten, doch das war meist alles, was sie im Laufe einer Woche bewältigte. Sie hatten ihr das Script bis aufs letzte Wort vorschreiben müssen, und sie war so aufgewühlt, dass sie nach dem kleinsten Fehler tagelang in Depressionen verfallen war.
»Sie hat sich vollkommen vor uns verschlossen und nur noch still und leise in ihr Tagebuch geschrieben«, sagte Mum. »Ich hätte das nicht tun dürfen, ich weiß, aber ich habe darin gelesen. Ich wusste nicht, wie ich sonst in Erfahrung bringen sollte, wie es ihr wirklich geht. Doch dann habe ich noch mehr geweint. Sie hat sich vorgemacht, dass alles gut wäre, ihre Karriere gut laufen würde, dass sie glücklich wäre. Doch so war es
Weitere Kostenlose Bücher