Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
verpasst hatte. Aber all das konnte ich erst sagen, wenn er vor mir stand.
»Aidan, würdest du dich mit mir treffen? Wo immer es dir passt. Wann immer es dir passt.«
»Ich komme zu dir. Wo wohnst du?«
Ich wusste nicht, wie mein Hotel hieß. Das Buchungsformular lag tief in meiner Handtasche. Mir fiel nur ein Ort ein, den ich in Washington problemlos finden würde. Ich wollte es nicht riskieren, Aidan noch einmal zu verpassen.
»Können wir uns vor dem Weißen Haus treffen?«
Er lachte sanft. »Okay. Vor dem Weißen Haus. Um vier?«
Ich hatte vergessen, wie schön seine Stimme war. »Vier klingt großartig.«
»Großartig. Dann bis gleich.«
»Bis gleich.«
Mein Herz schlug schneller, als ich zu meinem Platz ging. Meine Hände waren feucht. Das gerade war der schwierigste Anruf meines Lebens gewesen – oder der einfachste. Ich wusste es nicht. Ich wusste nicht, ob er schon mit Charlie gesprochen hatte. Doch es war vollbracht. Wir hatten geredet. Die Verabredung stand. Wie ein Treffen unter Geschäftspartnern. Oder zwei Menschen, die sich einmal sehr gut gekannt hatten.
Ich schaute während der gesamten Fahrt aus dem Fenster. Der Frühling kam nur langsam. Die Bäume waren noch kahl. Als wir uns Washington näherten, sah man sogar hier und da noch Schnee.
Das Manuskript lag in meiner Handtasche. Ich hätte es noch einmal lesen können. Doch das war nicht nötig. Ich kannte jede Szene, jedes Gespräch, jeden Moment, alles, was er beschrieben hatte. Denn seine Geschichte war auch meine.
Ich kam um ein Uhr in Washington an der Union Station an. Mir war, als wäre ich in einem historischen Museum gelandet. In der Haupthalle blieb ich stehen und sah mich um. Der Bahnhof war drei Stockwerke hoch, mit ausladenden Bögen und einem hohen Gewölbe. An den Wänden befanden sich mit Blattgold überzogene Statuen und Büsten. Es war wie eine Reise in die Vergangenheit. Es hätte mich nicht überrascht, wenn klassische Musik erklungen wäre und Frauen in langen Gewändern und Männer im Gesellschaftsanzug erschienen wären.
Draußen war es kalt. Der Himmel war klar und leuchtend blau, doch der Wind war so eisig, dass mich mein Mantel kaum schützte. Ich nahm mir ein Taxi zu meinem Hotel in der 9th Street. Ich checkte ein und ging auf mein Zimmer. Ich konnte nicht still sitzen. Es gelang mir nicht, mich zu beruhigen. Ich beschloss spazieren zu gehen. Nur eine Runde um den Block. Ich wollte in der Nähe des Hotels bleiben. Die Sehenswürdigkeiten mussten warten. Doch ich brauchte Bewegung.
Ich wanderte umher, bis es endlich halb vier, bis es endlich Zeit war, zu unserem Treffpunkt zu gehen. Ich sah drei Mal auf den Stadtplan. Ich lief durch die Straßen, bis es vor mir lag. Das Weiße Haus.
Ich hatte es mir anders vorgestellt. Größer. Mich wunderte, dass man so nahe herantreten durfte. Das Haus wurde natürlich bewacht – mit Kameras, mit bewaffnetem Sicherheitspersonal –, doch ich konnte bis zum Zaun gehen und durch die Gitter spähen. Wie oft hatte ich in den Nachrichten gesehen, wenn Staatskarossen davor hielten und der Präsident und seine Entourage das Haus betraten. In Wirklichkeit war es gar nicht so beeindruckend.
Ich war zu früh. Es war erst viertel vor vier. Ich zwang mich, tief und ruhig zu atmen. Ich sah dem Kommen und Gehen der Touristen zu, hörte, dass auch andere sagten, es sei viel kleiner, als sie erwartet hätten. Es waren sämtliche Nationalitäten vertreten, in der Mehrheit aber waren es Amerikaner. Gleich in meiner Nähe machte ein Paar Fotos voneinander, erst sie, dann er vor dem Zaun. Ich bot an, ein gemeinsames Foto zu machen. Sie willigten ein. Ich war froh. So vergingen wieder einige Minuten.
»Es sieht im Fernsehen völlig anders aus, oder?«, sagte die Frau, als sie ihre Pose einnahm.
»Normalerweise sieht man es auch nicht von dieser Seite«, erwiderte ihr Mann. »Im Fernsehen sieht man es von vorn.«
Ich erstarrte. »Das ist nicht die Vorderseite?«
»Nein, Ma’am. Die Vorderseite ist, na ja, vorn. Das hier ist die Rückseite.«
Ich drückte ihm die Kamera in die Hand und entschuldigte mich. Ich schaute auf die Uhr. Es war drei Minuten vor vier.
Ich rannte. Ich rannte so schnell wie noch nie in meinem Leben. Ich trug Stiefel mit hohen Absätzen. Das hinderte mich nicht. Aidan hatte lang genug gewartet. Er sollte nicht noch länger warten.
Ich lief durch die 15th Street. Vorbei an den Souvenirwagen mit ihren T-Shirts, den Essenswagen mit ihren Getränken und Hot Dogs,
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