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Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica McInerney
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trag es so, wie ich es will.« Wenn sie mich nicht so wütend gemacht hätte, hätte ich über sie lachen müssen.
    Als sie fünf wurde, weigerte sie sich einen ganzen Sommer lang, irgendetwas anzuziehen. Sie weigerte sich. Punkt. Zu ihrem Glück herrschte in jenem Jahr eine Hitzewelle. Zu ihrem noch größeren Glück ging sie damals noch in den Kindergarten und war die meiste Zeit mit Mum zu Hause. Nach zwei Monaten Nacktheit und wilden Tobsuchtsanfällen, wenn irgendjemand ihr etwas anziehen oder mit ihr das Haus verlassen wollte, willigte sie schließlich ein, einen Badeanzug zu tragen. Mehr aber nicht. Auf einem Foto aus jenem Dezember stehen wir Kinder vor dem Weihnachtsbaum: Charlie mit seiner ganzen Leibespracht in seinen Weihnachtsgeschenken: einem weißen Hemd und Shorts. Auf der anderen Seite ich, dünn, kichernd, sicher über irgendeine Bemerkung von Charlie, in einem roten Kleid und blauen Sandalen, auf die ich sehr stolz war. Und in der Mitte strahlt eine wilde Shirley Temple, ein Kind mit zotteligem Haar und verdrecktem Badeanzug. Sie hatte ihn immer und überall getragen – im Restaurant, beim Abschlusskonzert unseres Schuljahrs, beim Einkaufen. Mum und Walter ließen ihr alles durchgehen.
    Als sie sieben wurde, verkündete sie, dass sie sich zum Geburtstag ein Haustier wünschte. Wir hatten seit Jahren darum gebettelt, Charlie und ich. Die Antwort hatte immer gleich gelautet.
    »Jetzt noch nicht.«
    »Wann denn?«, hatte Charlie einmal gefragt.
    »Wenn es so weit ist«, war die Antwort gewesen.
    Und offensichtlich war es so weit, als Jess ein Haustier wollte. Sie wollte ein kleines Kätzchen. So wahnsinnig gern ein kleines Kätzchen. Ein Geburtstags-Kätzchen.
    Charlie und ich waren Zeugen. Wir spülten oder stopften Socken oder kehrten den Kamin oder taten, was immer man den Sklaven im Reich der Königin Jess auch aufgetragen hatte. Endlich, dachte ich damals. Endlich, nur ein einziges Mal, wird sie ihren Willen nicht bekommen.
    Mum lächelte Walter an, dann Jess. »Ach, so ein kleines Kätzchen im Haus, das wäre schon niedlich, oder?«
    Ich mischte mich ein. »Aber Mum …«
    »Ihr würdet euch das Kätzchen selbstverständlich teilen. Es wird nicht nur Jess gehören.«
    Natürlich durften wir nicht einmal in die Nähe des Kätzchens. Jess suchte es in einer Tierhandlung aus und herrschte darüber wie ein Kriegsfürst. Wenn Charlie oder ich die Katze in den Arm nehmen wollten, fauchte Jess uns an. »Das ist meine Miezi!« Wenn wir dem Tierchen Milch hinstellten, kippte Jess die Schale aus und füllte sie neu. »Ich füttere meine Miezi, nicht ihr!«
    Die Katze lernte schnell, wer das Sagen hatte. Jess konnte mit ihr machen, was sie wollte. In den ersten Wochen trug Jess die Katze in einer Schlinge durch die Gegend. Nicht ein wütendes Miau. Im Monat danach schleppte sie das Kätzchen in einer Plastiktüte überallhin. Nicht ein klagendes Maunzen. Mum und Walter fanden es zum Schreien komisch. Sie machten unzählige Fotos. Die wilde Jess, mit ihrem wilden Haar, halb nackt, die ihre Katze in einer Plastiktüte durch die Welt trug.
    »Dieses Kind«, hieß es immer. »Was stellt es wohl als Nächstes an?«
    »In den Dschungel ausreißen?«, sagte Charlie zu mir. »Wie Mogli sieht sie ja schon aus.«
    Von da an nannten wir Jess das Dschungel-Mädchen. Bis sie sich bei Mum und Walter beschwerte, die sich bei uns beschwerten. »Jess ist eure kleine Schwester. Seid lieb zu ihr.«
    Ich weiß noch genau, dass ich damals erwidert habe: »Jess ist meine Halbschwester.«
    »Das will ich überhört haben, Ella. Du bist schon wieder eifersüchtig, das gefällt mir gar nicht.«
    Charlie und ich diskutierten stundenlang die Lage. Dann reißen wir eben aus, entschieden wir. Uns wollten sie ja sowieso nicht, ihre beiden Halb-Kinder, jetzt, da im Haus ein Voll-Kind war. So haben wir uns damals gesehen, voll und halb, wie Milch.
    Lucas versuchte, mir durch all diese Zeiten hindurch via Fax gute Ratschläge zu geben. Versuch einfach, nett zu sein. Leb Dein eigenes Leben.
    Leichter gesagt als getan. Einmal fragte ich Mum, ob ich Geigenunterricht nehmen könnte. »Lieber nicht«, hieß es. »Konzentrier dich erst mal auf die Schule.«
    Jess hatte nach der Schule Klavier-, Schauspiel- und Tanzunterricht.
    Als Charlie fragte, ob er mit auf Klassenfahrt gehen dürfe, sagte sein Dad: »Im Moment ist das Geld ein wenig knapp.«
    Kurz darauf bekam Jess ein Fahrrad zum Geburtstag.
    Ich weiß, wie das klingt. Die

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