Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
amerikanische Serien. Eine Folge inspirierte uns zu, wie wir glaubten, einer großartigen Idee. Und so bauten wir an einem Samstagnachmittag in unserer Straße einen Limonadenstand auf. Wir waren überzeugt, wir würden ein Vermögen machen. Schließlich strömten auf dem Weg zum Footballstadion Hunderte Menschen an unserem Haus vorbei. Die kamen sicher um vor Durst und wollten nichts lieber als eine frische Limonade.
Charlie alberte schon beim Aufbau herum. Er machte mir mit gepresster Stimme einen Streit unter Zitronen vor. »Ich bin echt sauer«, ließ er eine Zitrone sagen. »Ach ja?«, erwiderte eine andere. »Du bist wohl etwas dünnhäutig.« »Und du bist doch bloß gelb vor Neid!« »Mit dir red ich gar nicht mehr, du Saftsack!« Plötzlich überkam mich der dringende Wunsch, ihm zu sagen, dass er mir, neben Lucas, der liebste Mensch auf der Welt war.
»Charlie?«
»Hm?«
»Ich liebe dich.«
Charlie fasste sich mit verzücktem Blick an die Brust. »Schweig still, mein klopfend Herz. Doch, Arabella, das mit uns kann niemals werden. Es tut mir leid, aber ich muss es dir sagen, ich bin dein Bruder.«
»Stiefbruder, um genau zu sein«, erwiderte ich. »Und genau das meine ich. Ich liebe dich auf brüderliche Weise.«
»Ausgezeichnet.« Charlie liebte nicht nur gewichtige Worte, manchmal legte er sich auch zum Spaß den Akzent der Upperclass zu. »Und ich, liebste Arabella, liebe dich ebenfalls. Auf schwesterliche Weise, versteht sich.«
»Gut.«
Dann sprach er wieder mit normaler Stimme. »Können wir jetzt weiter Limo machen?«
»Klar.«
Zwei Stunden später packten wir ein. Der Nachmittag war, man muss es so sagen, enttäuschend gewesen. Wir hatten lächerliche zwei Dollar und zwanzig Cent verdient und die meiste Limonade selbst getrunken. Da hörte ich ein Lärmen – erst Gegröle, dann kickte jemand eine Flasche über den Bürgersteig. Eine Clique, von einer anderen Schule aus der Gegend, näherte sich. Ich hatte die Jungen hin und wieder vor unserem Haus gesehen und nicht weiter beachtet. Zwischen unseren Schulen herrschte unausgesprochen Krieg. Wir galten bei den anderen als verwöhnte Blagen. Die bei uns als Kriminelle.
Charlie war damals noch sehr dick. Erst mit zwanzig nahm er etwas ab. Die Jungs provozierten ihn schon von Weitem. »Hey, du Fettsack«. »Da hat aber jemand brav aufgegessen.« »Könnt ihr mal den Küstenschutz rufen? Hier ist ein Wal gestrandet.«
»Komm, Charlie.« Ich legte eilig ungenutzte Becher und Zitronen in den Karton, der uns als Stand gedient hatte. Ich war nicht schnell genug. Ich hatte gerade unser Schild abgenommen, da standen die Jungs schon vor uns.
»Der Fettsack hat ’ne neue Freundin«, sagte einer. Ein anderer etwas noch viel Derberes. Ich reagierte nicht. Auch Charlie packte schweigend zusammen. Ich warf ihm von der Seite einen Blick zu. Er sah nicht zurück.
»Hey, Fettsack-Freundin, gib uns was zu trinken.«
»Wir haben geschlossen«, sagte ich und schaute auf den Bürgersteig.
»Hat der Fettsack alles leer getrunken?«, fragte einer. Alle lachten.
Ehe ich es verhindern konnte, langte der Größte aus der Clique in die Kiste, packte sich eine Zitrone und warf sie quer über die Straße. Sie verfehlte ein vorbeifahrendes Auto nur knapp. Der Fahrer hupte. Zwei der Jungs zeigten ihm den Mittelfinger.
»Ignorier sie einfach«, zischte mir Charlie zu.
Das hätte ich gern getan, doch sie schnappten sich schon die nächste Zitrone. Noch mehr Gehupe. Beim dritten Mal warfen sie eine Zitrone nach Charlie. Sie verfehlte ihn nur knapp. Die folgende traf ihn an der Schulter.
»Lasst das«, sagte er und lief rot an.
»Wer soll uns denn daran hindern, Fettsack? Du und deine Freundin?«
Dann beugte sich der Anführer der Clique vor und, es erschien mir wie in Zeitlupe, schubste Charlie. Charlie stolperte rückwärts gegen die Kiste. Sie neigte sich. Charlie verlor das Gleichgewicht und plumpste zu Boden. Pappbecher und Zitronen kullerten über die Straße.
Die Jungen grölten vor Lachen. Ich musste etwas tun, und zwar sofort. Niemand schubste ungestraft meinen Charlie. Lachte ihn aus oder beleidigte ihn.
Wir hatten so einiges im Fernsehen gesehen, darunter auch Karate Kid . Ich hatte niemals einen Karatekurs besucht, doch das wussten die Jungen ja nicht. Ich trat in Aktion. Zu ihrem und meinem Schrecken. Ich sprang mitten in die Gruppe und stieß einen merkwürdigen, schrillen Schrei aus, etwas wie »Ai-jah!«, und winkelte die Arme vor mir
Weitere Kostenlose Bücher