Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
verlassen, ihn einfach so von heute auf morgen sitzen lassen. Er quält sich.«
»Ich habe ihn nicht sitzen lassen. Ich musste gehen, Charlie. Er weiß, warum. Und du weißt auch, warum.«
»Er war der Vater. Er hat ihn doch genauso sehr geliebt wie du. Bitte, geh zu ihm, sprich mit ihm …«
Ich konnte nicht. Ich konnte mich weder mit ihm treffen noch mit ihm reden. Das wurde mir immer deutlicher, je mehr Zeit verging. »Hat er dich gebeten, mich zu überreden?«
»Natürlich hat er das. Er versucht auf jede erdenkliche Weise, mit dir in Kontakt zu treten. Weil du seine Anrufe und Briefe und E-Mails ignorierst.«
Ich hatte wieder geschwiegen.
»Ella, bitte, tu es wenigstens für mich, wenn schon nicht für ihn. Aidan ist nicht nur dein Mann. Er ist mein Freund. Zu erleben, was aus euch beiden geworden ist, bringt mich um.«
Ich sagte zu seinen so unglücklich gewählten Worten nichts. Nur: »Ich kann nicht, Charlie. Es tut mir leid.«
Charlie hatte es monatelang probiert. Schließlich aber hatte er aufgegeben. Er sei darüber zwar alles andere als glücklich, hatte er gesagt, doch er würde nicht zulassen, dass ich auch ihn aus meinem Leben verbannte. Das hatte wehgetan. Ich hatte doch niemanden verbannt. Ich hatte keine Wahl. Das musste Charlie doch verstehen.
Charlie erwähnte Aidan nie mehr, doch Aidans E-Mails kamen nach wie vor. Auch die Briefe. Ich öffnete sie nicht. Das war auch gar nicht nötig. Ich kannte den Inhalt. Bitte, Ella, sprich mit mir. Es war unmöglich.
Bevor es passiert war, hatten Aidan und ich endlos miteinander reden können. Wir waren immer im Gespräch gewesen. Nachdem es passiert war, nachdem die ersten Tage, der Schock und die Tränen, die Beerdigung vorüber waren, hatte ich es mir von ihm erzählen lassen, immer wieder, bis ins kleinste Detail. Ich musste unbedingt hören, wie es passiert war, damit ich das Gefühl hatte, ich wäre dabei gewesen.
Mit jeder Faser meines Körpers hatte ich dabei sein wollen. Ich hatte nur einen Wunsch: das Ende der Geschichte umzuschreiben, es aufzuhalten, nahe zu sein, damit ich in der Sekunde, in der Felix das Gleichgewicht verlor, rufen könnte: »Jess, halt ihn fest!« Und Jess würde mich hören, sich rechtzeitig zu ihm drehen, das Handy fallen lassen, mit blitzartiger Geschwindigkeit die Hände ausstrecken und nach Felix greifen. »Hab dich!«, würde sie sagen, und er würde leise nach Luft schnappen, wie immer, wenn er sich erschrocken hatte. Jess würde die Augen aufreißen, ihn fest an sich drücken und ein zitterndes Lachen von sich geben: »Wow, das war knapp!« Dann würde sie ihn sanft absetzen, auf den Boden, sich bücken und ihn auf die Stirn oder sein schimmerndes schwarzes Haar küssen. Oder es ihm zerzausen, so wie ich. Dann würden sie Hand in Hand nach Hause gehen. Dort würde sie ihm etwas zu trinken geben. Nicht eine Stunde später würden Walter und Mum eintreffen, ihn mit Geschenken überhäufen, staunen, wie groß er schon wieder geworden war, und was war seine Stimme schön! War das Einbildung, oder war da ein leichter irischer Akzent? Und dann würde Aidan von seinen Verhandlungen zurückkommen, sich etwas Legeres anziehen und uns allen, wenn auch ich nach meinem freien Tag heimgekommen war, strahlend, entspannt, nach einem unverhofften, wunderbaren Facial, nach einer großartigen Massage, einen Drink machen. Und sobald mein Schlüssel in der Tür klapperte, würde mir Felix entgegenlaufen, mit ausgestreckten Armen, damit ich ihn hochhob, und brabbelnd rufen: »Ich bin Felix O’Hanlon!« Alle würden lachen. Ich würde mich im Wohnzimmer umschauen. »Das ist ja eine Überraschung. Ich dachte, wir wollten uns im Hotel treffen!« Ich wäre so entspannt, dass der Streit mit Jess vergessen wäre, wir sechs würden einen tollen Abend zu Walters Geburtstag verbringen, dann würden Aidan und ich unseren Felix, der im Arm schon schlummern würde, nach Hause und ins Bett bringen, uns noch einen Drink genehmigen, über Aidans Arbeit und meinen freien Tag reden und uns freuen, dass Jess so kurzfristig als Babysitterin eingesprungen war, über den Abend sprechen, staunen, wie berühmt Mum inzwischen war, womöglich sogar lachen, weil sie im Restaurant ein, zwei Mal um ein Autogramm gebeten worden war – wer hätte das gedacht! –, und dann würden wir nachschauen, ob Felix auch gut schlief, selbst ins Bett gehen und glücklich miteinander bis ans Ende unserer Tage leben.
Doch so war es nicht geschehen. Es gab kein Happy
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