Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica McInerney
Vom Netzwerk:
End. Ich konnte die Einzelheiten, die Bruchstücke, die winzigen Teile des Puzzles noch so oft bei Aidan abfragen und vor meinen Augen zusammenfügen, bis mir war, als ob ich selbst im Park gewesen wäre, als ob ich alles hätte kommen sehen. Doch niemals konnte ich es ändern. Niemals konnte ich verhindern, was geschah.
    Es ist schnell gegangen, Ella. Er war auf der Stelle tot.
    Aidan hatte unrecht. Im Bericht des Gerichtsmediziners hatte detailliert gestanden, was ich wissen wollte, was ich niemals wieder lesen wollte. Ich hatte Begriffe lernen müssen, die ich lieber nicht gelernt hätte. Die medizinischen Fachtermini für die zarten Schädelknochen eines zwanzig Monate alten Jungen. Für die Verletzungen, die ein Sturz auf einen Felsen bei zwanzig Monate alten Knochen, Hautschichten, Blutgefäßen und Nervenenden auslöst. Es war nicht schnell gegangen. Es hatte mehrere Minuten gedauert.
    Was hatte mein Baby in diesen Minuten gefühlt? Todesangst? Schrecknis? Panik? Waren die letzten Momente, die mein Felix auf Erden verbracht hat, von den entsetzlichsten Schmerzen erfüllt, die er je empfunden hatte? Hat sich sein Leben vor seinen Augen abgespielt? Und wie? Wie, wenn sein Leben doch so kurz gewesen war, es doch gerade erst begonnen hatte? Und bei alldem war ich nicht bei ihm. Mein Baby hatte im Sterben gelegen, unter der Sonne, auf der Erde, und ich war nicht bei ihm. Ich war nicht bei ihm.
    Nicht Jess und Aidan kann ich nicht vergeben. Sondern mir.
    Aidan weiß, wie ich empfinde. Ich habe es ihm, bevor ich gegangen bin, gesagt. Ich habe es ihm bestimmt gesagt. Wir haben doch nichts anderes getan, wir haben immer wieder das Gleiche gesagt, immer wieder das Geschehene durchlebt. Es gab nichts anderes zu bereden, und wir haben es beredet, bis die Worte uns entleert, bis die Trauer unser Heim besetzt, bis Schuld, Vorwurf und Schmerz die Atemluft verdrängt hatten.
    Ich hatte es ihm in meiner Nachricht mitgeteilt. Wir können nach alldem nicht zusammenbleiben. Leb wohl. Es waren die schwersten und es waren die leichtesten Worte, die ich je geschrieben hatte. Und es war die Wahrheit. Ich konnte ihm ebenso wenig helfen wie er mir.
    Er aber hatte es nicht akzeptiert. Ich war von Canberra aus für einige Monate nach Melbourne und dann nach Sydney gezogen. Bevor Aidan dort lebte. Ich hatte jede erdenkliche Arbeit angenommen, geputzt, gekellnert. Mir war egal, was ich tat. Solange ich nicht innehalten musste. Eines Samstags, etwa vier Monate, nachdem wir das letzte Mal miteinander gesprochen hatten, nachdem ich seine Briefe und E-Mails ignoriert hatte, hatte ich etwas, was man wohl nur als Vorahnung bezeichnen kann. Das Gefühl, dass Aidan in der Nähe war.
    Ich lebte und arbeitete zu dem Zeitpunkt in Banksia, einem äußeren Vorort von Sydney, noch jenseits des Flughafens, fern vom Hafen und den angesagten Vierteln in der Innenstadt. Ich nahm meine Umgebung ohnehin kaum zur Kenntnis. Ich arbeitete, ging nach Hause und schlief. Ich bewegte mich nur zwischen meiner günstigen Wohnung und dem Restaurant, in dem ich arbeitete, hin und her. Charlie hatte ich gebeten, Aidan meine Adresse nicht zu übermitteln. Das hatte er auch nicht getan. Er hatte ihm die Adresse des Restaurants gegeben.
    An jenem Samstag deckte ich mit einer Kollegin die Tische für einen Geburtstagslunch ein, als ich plötzlich das Gefühl hatte, Aidan wäre in der Nähe. Ich kann es nicht erklären. Ich stellte das Tablett mit dem Besteck ab, ging zu einem der großen Fenster und spähte durch die hölzernen Jalousien. Aidan stand auf der anderen Straßenseite und blickte auf sein Handy. Vermutlich las er Charlies Nachricht noch einmal. Die Nachricht mit der Adresse. Mich packte eine ungeheure Wut auf Charlie, Panik beim Anblick von Aidan, dann aber auch eine heftige Wut auf ihn, weil er nach mir gesucht hatte. Er steckte das Handy in die Tasche und überquerte die Straße.
    Ich rannte fort. Ich bin nicht stolz darauf, doch es musste sein. Ich wollte keine Szene. Ich wollte nicht, dass meine Arbeitgeber und Kollegen irgendetwas von mir, von meinem früheren Leben erfuhren. Ich ging durch die Küche, durch die Hintertür, durch den Hof, an den Mülltonnen vorbei, durch das quietschende Tor, und rannte los – durch Gassen, durch Straßen, an einem Fußballplatz vorbei. Erst als ich etwa einen Kilometer entfernt war, blieb ich stehen. Ich wusste nicht, wo ich war, doch das war mir gleichgültig. Nachdem ich zu Atem gekommen war, nachdem ich sicher sein

Weitere Kostenlose Bücher