Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
verwöhnt, die Eltern viel zu nachsichtig und außerdem viel zu wohlhabend. Vielleicht gab es die Diebstähle bloß, weil es die Gelegenheit dazu gab. Weil der Dieb dachte, dass in diesen Häusern Überfluss herrschte. Dass dort nichts vermisst würde.
»Lucas, ich mag mich irren. Wir haben keinen Beweis, dass sie mit den Vorfällen überhaupt etwas zu tun haben.«
»Nein, das nicht.« Er zögerte. »Hattest du schon Gelegenheit, in ihre Zimmer zu schauen?«
»Schauen« hieß »durchsuchen«. Das hatte ich am Vormittag getan, nachdem ich mir eingeredet hatte, dass das zu meinem Dasein als Haushälterin gehörte. In Begleitung eines sehr lauten Staubsaugers, den ich ganz hinten im Flurschrank entdeckt hatte, war ich der Reihe nach durch die Zimmer gezogen. Ich war auf zahlreiche Tassen gestoßen, erstaunliche Mengen an Besteck, mehr als ein Dutzend brauner Apfelgehäuse, Beweise für Aktivitäten romantischer Natur – ich hatte mich wie ein mütterlicher Eindringling gefühlt, als ich neben Peggys Bett auf ein Päckchen Kondome gestoßen war –, Weingläser, leere Flaschen und in Darins Zimmer ein leuchtend orangefarbenes Verkehrshütchen, das wohl von der nahe gelegenen Baustelle stammte. Worauf ich nicht gestoßen war, waren eine Karte, ein Kollier, eine Statuette, ein Ring und eine Rolex.
»Vielleicht irre ich mich ja«, sagte Lucas, als ich meinen Bericht beendet hatte. »Ich hoffe es sehr. Aber behalte bitte die Augen offen, Ella. Oder sollte ich sagen, die Ohren?«
»Ich werde beides nutzen«, sagte ich.
Wir saßen in traulichem Schweigen da und schauten ins Feuer. Von ihm ging eine sanfte Wärme aus, ein flackernder rötlicher Schein, mehr Glimmen als Lodern. Lucas nahm einen Ordner zur Hand und vertiefte sich in die Lektüre.
Beobachten.
Ich registrierte sämtliche Geräusche ringsumher. Lucas’ ruhiger Atem. Entferntes Verkehrsrauschen. Hundebellen. Musik aus einem der benachbarten Häuser. Das Knistern des Feuers, hin und wieder das sachte Rumpeln eines Holzscheits. Ich schloss die Augen, um mich noch besser zu konzentrieren. Ich hörte ferne Sirenen. Einen zweiten Hund. Geraschel, wenn Lucas umblätterte.
Ich hatte so gern still in unserem Wohnzimmer in Canberra gesessen, wenn Aidan an einer Übersetzung arbeitete. Ich hatte ihm gern zugesehen, wenn er eine Sprache in eine andere übertrug. Gelegentlich hatte er ein Wörterbuch zurate gezogen, aber meistens hatte ich nur staunen können, dass er so viele Worte in seinem Kopf hatte und ohne Zögern dasjenige fand, das er brauchte. Manchmal hatte ich währenddessen einen Text redigiert, dann war im Zimmer nur ein sanftes Rascheln zu hören, wenn eine Seite umgeblättert wurde, und das Schaben der Stifte, wenn wir uns beim Lesen Notizen machten. Als Felix noch sehr klein und ich im Mutterschutz gewesen war, waren meine glücklichsten Momente die, wenn wir alle drei im selben Raum waren, Aidan las oder übersetzte, ich in einem bequemen Stuhl saß und Felix auf mir schlummerte. Es ist ein unvergleichliches Gefühl, ein schlafendes Baby – das eigene Baby – an der Brust zu halten. Sein kleiner Körper hatte sich ganz langsam auf- und abbewegt, mit meinem Atemrhythmus. Ich hatte ihm sanft auf den Kopf gepustet und beobachtet, wie sich die dunklen Haarsträhnen hoben und senkten. Hin und wieder hatten seine Augenlider geflattert, manchmal hatte er sich auch bewegt, ein ganz klein wenig nur. Die Ahnung eines Traums, ein Jucken, ein Anflug von Schmerz? Ich musste immer lächeln. Ich hatte ihm dann einen sanften Kuss auf den Kopf gedrückt oder ihn etwas fester umarmt und wieder einmal gestaunt, wie perfekt sein Körper an meinen passte oder auch in Aidans Arme. Unser Baby. Es stammte aus unseren Körpern. Durch Felix hatten wir uns in unserer eigenen Haut viel wohler gefühlt.
Mir kam in den Sinn, wie Aidan zum ersten Mal versucht hatte, Felix zu baden. Aidan hatte das anfangs mir überlassen, angeblich hatte er Angst, er könnte Felix fallen lassen, Felix könnte ihm durch die Hände gleiten und wie ein Stück Seife über den Fußboden rutschen. Nachdem er mir in den ersten beiden Wochen zugesehen hatte, entschied sich Aidan doch, es zu versuchen. Ich hatte ihm bei den Vorbereitungen geholfen – Plastikwanne auf den Küchentisch, Handtücher ausbreiten, das Wasser lauwarm. Aidan hatte Felix ganz vorsichtig ausgezogen, die Konzentration hatte ihm im Gesicht gestanden. Er hatte ihn vorsichtig hochgehoben und dann, langsam, ganz langsam, in die
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