Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)
Wanne gelassen, einen Zeh, zehn Zehen, einen Knöchel, den anderen, alles in Zeitlupe. Ich hatte zugesehen und mir das Lachen verkneifen müssen, aber auch einen Kommentar darüber, wie Aidan Felix festhielt. Als säße er in einem Schraubstock. Eine Minute später, und Felix war noch immer nicht im Wasser. Da hatte sich ein langer Abend abgezeichnet. Ich hatte zu Felix geschaut, genau in dem Moment, als er zu Aidan aufsah. Felix hatte die Stirn gerunzelt und die Augen verdreht, als ob er sagen wollte: »Dad, jetzt mach mal voran!« Ich weiß, das war Zufall, wahrscheinlich hatte Felix bloß gegähnt, doch seine Miene hatte so perfekt gespiegelt, was ihm ganz sicher durch den Kopf gegangen war, dass ich laut lachen musste …
»Ella?«
Ich öffnete die Augen, zwinkerte, kam langsam wieder in die Gegenwart.
»Alles in Ordnung?«, fragte Lucas.
»Alles bestens. Wieso?«
»Du hast wieder leise gelacht.«
»Wirklich?« Wirklich?
Er nickte. »Das war schön.« Dann vertiefte er sich wieder in seine Lektüre.
Lucas hatte recht. Ich hatte gelacht. Ich hatte an Felix gedacht und nicht geweint, sondern gelacht. Einen Augenblick lang hatte ich das berauschende Gefühl, dass der Schmerz vielleicht ein wenig nachließ, doch da wurde die schöne Erinnerung davongetragen, und eine beißend scharfe, übermächtige Trauer streckte ihre Krallen aus …
Ich stand auf. Ich musste etwas tun. Mich beschäftigen. Rasch.
»Ella?«
Ich blieb an der Tür stehen.
»Was ist eigentlich mit deinem berühmten Thai Curry? Machst du das noch?«
Ich brauchte eine Weile, um mich gedanklich von Felix zu lösen.
»Oder deine berühmte Spaghetti Bolognese? Oder deine nicht minder berühmte mediterrane Gemüselasagne?«
Lucas zog mich auf. Liebevoll. Als ich zum ersten Mal die Haushälterin gegeben hatte, hatte ich mir das Kochen erst beibringen müssen. Von Mum, die ich als Kind selten am Herd gesehen hatte, hatte ich allenfalls Grundkenntnisse gelernt. Bei Lucas hatte ich meinen Mangel an Können durch extravagante Präsentationen zu überspielen versucht und um jede Mahlzeit ein großes Trara gemacht, jeden Gang als mein berühmtes dies oder mein berühmtes das angekündigt, so als ob ich die fünf Jahre davor nicht im Hörsaal, sondern in einer exklusiven Kochschule zugebracht hätte.
»Wenn du Lust darauf hast, sicher.«
»Ich dachte nicht an mich. Henrietta will mit mir morgen Abend einige Beurteilungen diskutieren. Und falls das zu deinen Plänen passen sollte, dachte ich, könnten wir drei gemeinsam essen.«
Ich setzte mich wieder. »Du hast noch immer ein Techtelmechtel mir einer verheirateten Frau?«
»Das ist kein Techtelmechtel.« Er machte eine Pause. »Doch, ja, ist es.«
Ich lächelte. »Hat dich dein moralischer Kompass noch immer nicht von diesem Abgrund fortgeführt, Onkel Lucas?«
»Meine Seele und mein Gewissen sind rein, Ella. Von meiner Seite aus gibt es keinerlei moralische Bedenken. Ich bin ledig. Ich könnte, wenn ich wollte, mit halb London ein Techtelmechtel haben. Die Entscheidung liegt bei Henrietta. Zu meinem Glück aber hat sie sich auf den Pfad der Sünde begeben.« Auf seinem Gesicht erschien ein erstaunlich jungenhaftes Grinsen.
»Wie geht es ihr?«
»Wunderbar. So wie mir, wenn ich sie sehe.«
»Welches meiner berühmten Gerichte mochte sie am liebsten?«
»Die vegetarische Lasagne.«
»Dein Wunsch ist mir Befehl.«
Als ich am nächsten Morgen die Einkäufe erledigte, ging mir Marks Frage zu Lucas’ Privatleben durch den Kopf. Ich war früher nicht minder neugierig gewesen und hatte Mum und Dad dazu befragt. Ich hatte wissen wollen, ob Lucas verheiratet war.
»Große Güte, nein«, hatte Dad gesagt. »Lucas ist ein ebenso begehrter wie hartnäckiger Junggeselle.«
Mum hatte nur gelacht. »Welche halbwegs vernünftige Frau würde sich auf dieses Chaos einlassen?«
Als mit den Jahren noch immer keine Frau in seinem Leben erschienen war, hatte auch ich mich eine Zeit lang gefragt, ob er womöglich schwul wäre. Eines Tages hatte ich all meinen Mut zusammengenommen und Mum danach gefragt.
»Der Gedanke ist mir auch gekommen, aber wenn man deinem Vater glauben darf, war Lucas zu Uni-Zeiten der reinste Frauenheld. Auch wenn mir das ein Rätsel ist.«
Aber Lucas, hatte ich ihr ins Gedächtnis gerufen, war das Ebenbild meines Vaters. Und ihn hatte sie sogar geheiratet.
»Ja, nun, immerhin hat sich dein Vater ab und zu gekämmt.«
Meine Neugierde war noch immer nicht befriedigt, doch eine
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