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Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus am Hyde Park: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica McInerney
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solche Frage konnte ich Lucas nicht per Fax oder E-Mail stellen. Als ich ihm als Erwachsene gegenübergetreten war, hatte ich nicht widerstehen können. Ich hatte vierzehn Tage lang bei ihm gewohnt. Lucas hatte sich eine ganze Woche freigenommen und mir seine Zeit gewidmet. Er war wunderbar zu mir gewesen, man kann es nicht anders nennen. Er hatte mir London gezeigt und eine große, abweisende Stadt in einen Ort voller fantastischer Stätten und verborgener Schätze verwandelt. Er hatte mir auch in einer Weise von meinem Vater erzählt, die mir geholfen hatte, die Erinnerung an ihn zu wecken. Ich hatte Lucas schon immer für den nettesten, lustigsten und großherzigsten Menschen der Welt gehalten. Damit hatte er es mir bewiesen. Ich fand es nicht richtig, dass ausgerechnet er allein bleiben, dass ausgerechnet er allein – abgesehen von den Studenten natürlich – in so einem großen Haus leben sollte. Er hatte mir als Kind gesagt, dass ich ihn alles fragen dürfe. Und eines Abends, nach dem Essen, ermutigt durch seinen sehr guten Portwein und das berühmte eine Glas zu viel, hatte ich ihn beim Wort genommen.
    »Lucas, bist du schwul?«
    Ich sehe noch heute vor mir, wie er sich das Grinsen verkniffen hatte. Kein Wunder. Es war sicher komisch, von seiner leicht angetrunkenen, zweiundzwanzigjährigen Nichte ausgefragt zu werden. »Nein, Ella, ich bin nicht schwul«, hatte er erwidert.
    »Aber warum bist du nicht verheiratet? Meiner Meinung nach wärst du ein absoluter Glücksgriff.«
    Er hatte sich bedankt und ein weiteres Lächeln verkniffen. »Ich wollte ja heiraten. Eine wundervolle Frau, die ich im Studium kennengelernt habe. Ich habe viele Male um ihre Hand angehalten. Zu meinem Bedauern hat sie jedes Mal Nein gesagt. Und dann, zu meinem noch größeren Bedauern, zu einem Kommilitonen Ja gesagt. Ich bin nie über sie hinweggekommen, und ich habe nie eine andere derart wundervolle Frau getroffen. Daher mein Status als Dauerlediger.«
    Mir waren die Tränen gekommen. Auch das eine Folge des Portweins. »Ach, Lucas! Das tut mir so leid!«
    »Nicht traurig sein, Ella. Die Geschichte hat ein Happy End.«
    »Wirklich? Ist ihr Mann gestorben?«
    »Nein, er erfreut sich bester Gesundheit. Und so sollte es auch sein. Er ist schließlich Arzt. Aber die Ehe hat sich als ein wenig turbulent erwiesen. Und so habe ich mit dieser Frau ein Verhältnis begonnen.«
    Ich hatte geblinzelt. »Du hattest eine Affäre mit ihr?«
    »Habe. Seit mehr als zwanzig Jahren.«
    Ein weiteres Blinzeln. »Hier? Jetzt?«
    »Nicht in diesem Moment, Ella, nein. Aber ja, hier. In diesem Haus.«
    »Hier? Wohnt sie etwa hier?«
    Er hatte gelacht. »Nein. Aber sie kommt oft hierher. Du bist ihr schon mehrfach begegnet.«
    Die einzige Frau, die meiner Meinung nach infrage gekommen wäre, war Henrietta, Anglistik-Dozentin an der Universität, an der Lucas unterrichtete. Sie war in Lucas’ Alter, deutlich kleiner als ich, kaum größer als einen Meter fünfzig, und hatte eine Figur, die ich robust genannt hätte. Sie war stets perfekt und unverkennbar teuer gekleidet, das Haar – in einem attraktiven dunklen Rot – trug sie stets in einem Knoten. Bei unserer ersten Begegnung hatte ich gleich an Frau Pfeffertopf denken müssen, eine Figur aus einem meiner Kinderbücher. Wir hatten nur kurz miteinander gesprochen. Ihre direkte Art hatte an Unhöflichkeit gegrenzt. Sie hatte mich gefragt, wo Lucas war, und sehr ungehalten reagiert, weil ich es nicht wusste. Bei unserer zweiten Begegnung hatte ich ihr einen Drink angeboten. Sie hatte mir ihren Wunsch entgegengebellt, als ob ich ihre Untergebene und nicht Lucas’ Nichte wäre.
    »Du hast eine Affäre mit Henrietta ?«
    Er hatte genickt.
    Der Port hatte mich schon leicht umnebelt. Ich hatte so viele Fragen auf dem Herzen gehabt, aber nur eine einzige über die Lippen gebracht. Ich hatte wie eine moralinsaure Pfarrersgattin geklungen. »Weiß ihr Mann davon?«
    »Wir haben eine Affäre, Ella. Und es liegt im Wesen einer Affäre, dass sie heimlich ist.« Er hatte gelacht. »Dein Gesicht spricht wirklich Bände.«
    Ich hatte gehofft, dass er nicht sämtliche Gedanken lesen konnte. Lucas war so nett, so gut aussehend, so angenehm und großherzig. Henrietta – nun ja, Henrietta war das alles nicht.
    Er war aufgestanden und hatte eine kleine, gerahmte Fotografie von einem Regal geholt. Er und Henrietta, als Studenten. Sie saßen auf einer Wiese, beim Picknick. Ich hätte lügen und sagen können, dass sie

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