Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
verabreden. Sie warf einen Blick auf das gerahmte Bild von Andy im Bücherregal, auf dem er ewig neunzehn Jahre alt war.
»Juliet?«
Sie drehte sich um. Katie stand schon wieder in der Tür.
»Legst du dich zu mir? Ich habe Angst.«
Juliet schaltete den Computer aus und stand auf. »Na, komm.« In der Dunkelheit zu liegen und einer Siebenjährigen etwas vorzusingen, war eigentlich nicht ihre Vorstellung von einem perfekten Freitagabend, aber es ließ sich nicht ändern. Cheryl war sieben Jahre älter als Juliet und hatte irgendwann beschlossen, dass es besser wäre, eine alleinerziehende als gar keine Mutter zu sein. »Das Problem ist«, hatte sie damals gesagt, »dass Männer um die vierzig Frauen um die zwanzig haben möchten.«
Juliet wusste nicht, wie viele von Cheryls Weisheiten über Männer und ihre Wünsche der Wahrheit entsprachen, und versuchte daher, positiv zu denken. Wenn es passieren soll, passiert es , sagte sie immer.
Doch in den dunkleren Stunden der Nacht fürchtete sie manchmal, dass es nie passieren würde. Sie hatte ihre Chance gehabt. Sie hatte eine wahre, verrückte, tiefe Liebe erlebt. Vielleicht wäre es anmaßend, das noch einmal zu verlangen.
Katie wickelte eine ihrer langen, braunen Haarsträhnen um den Zeigefinger. Von fern grollte Donner. »Geh nicht weg«, sagte sie.
»Das werde ich nicht«, erwiderte Juliet sanft. »Mach die Augen zu.«
Sie sah zu, wie das Kind einschlief, und blieb noch ein bisschen bei ihr, während das Gewitter heranzog. Sie war froh, im Dunkeln Gesellschaft zu haben.
Es dauerte Tage, bis Libby den Jetlag überwunden hatte, und sie konnte immer noch nicht richtig schlafen. In ihrem Kopf kreisten die Gedanken. Manche waren praktischer Natur, zum Beispiel wann ihre Sachen aus Paris eintreffen würden. Andere waren komplizierter. Sie fragte sich, wie sie sich an dieses neue Leben gewöhnen und sich mit ihrer Schwester versöhnen sollte. Sie schloss die Augen, versuchte es auf der linken Seite, dann auf der rechten und stand schließlich auf. In der Ferne zog ein Gewitter herauf. Sie schaltete die Taschenlampe ein, ging ins Hinterzimmer – das Atelier, wie sie es schon bei sich nannte – und öffnete das Fenster. Die kühle Meeresluft und das Rauschen der Wellen fluteten herein. In der Ferne zeichneten sich Blitze vor den Wolken ab. Sie stellte die Taschenlampe in eine Tasse, so dass sie an die Decke leuchtete. Das reichte, um die Malutensilien auszupacken. Vielleicht würde sie davon müde genug, um endlich zu schlafen. Mark hatte natürlich an alles gedacht. Nicht nur an die Aussicht und das Licht, das durch die Fenster fiel. Auch an die Staffeleien, die Leinwände auf Keilrahmen aus Zedernholz, einen Rollschrank voller Farben, Pinsel, Paletten, Palettenmesser, Flaschen mit Leinöl, Gummi arabicum, Terpentin und Firnis, zusammengerollte Lappen, die mit einem blauen Band verschnürt waren, sogar Gläser mit Schellack, Bienenwachs und Bimssteinpulver. Die Gerüche von Öl, Lösungsmitteln, Holz und Erde stiegen ihr zu Kopf. Auf einem Regal waren Tinte, Schreibfedern und Aquarellpapier angeordnet, dazu Kunstbücher über Cézanne, Monet und Turner. Während der Wind böiger wurde und der Donner näher rückte, packte sie alles aus und verstaute es ordentlich in den Schubladen. Sie arbeitete mechanisch, weil sie einerseits müde war und andererseits das alles ohne Mark nicht richtig genießen konnte. Er hatte all diese Dinge gekauft und sich vorgestellt, sie eines Tages mit ihr auszupacken. Dass er ihr Gesicht sehen und ihre Freudenschreie hören würde, dass sie mit Champagner auf ihr neues Atelier im Strandcottage anstoßen würden. Doch in ihrer Sturheit und Angst hatte sie sich immer wieder geweigert, mit ihm herzukommen. Jetzt war es zu spät, um ihm für seine Großzügigkeit zu danken und vor allem dafür, dass er ihren Traum vom Malen ernst genommen hatte.
Als es richtig anfing zu regnen, fiel ihr ein, dass im Wohnzimmer und in der Küche die Fenster offen standen. Sie schnappte sich die Taschenlampe und eilte hinaus. Der Wind wehte heftig und schlang die Vorhänge zu Knoten, erfüllt vom süßen, feuchten Geruch des Regens. Libby schob die Fenster zu. In den Räumen blieb eine stickige Feuchtigkeit zurück. Sie hätte sie am liebsten wieder geöffnet, aber dann müsste sie am Morgen das Regenwasser vom Boden wischen. Sie ging zur anderen Seite des Hauses und öffnete die Haustür. Von hier aus konnte sie den Gewitterhimmel sehen, ohne nass zu
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