Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
schreit und flucht und kämpft, ist aber schwach und verletzt.
Der Mann, der sie trägt, sagt etwas in schroffem Ton.
Sie schüttelt müde den Kopf. »Ich verstehe nicht.«
Er greift nach ihrer Kehle, und sie zuckt zurück, doch dann spürt sie seine Finger an ihrem Nacken, und als er sie zurückzieht, sind sie blutig. Isabella tastet nach der Stelle und spürt einen brennenden Spalt, aus dem Blut quillt. Der Schmerz zieht sich durch ihr ganzes Rückgrat.
Der nackte schwarze Mann trägt sie tiefer in den Wald, er und sein Begleiter gleiten förmlich über den unebenen Grund. Ihre Fußsohlen müssen wie Leder sein, denn sie bewegen sich flink und mühelos. Sie kommt sich vor wie die Möwe: zu verletzt, um zu kämpfen. Ihr eigenes schreckliches Ende steht bevor.
Dann aber riecht sie das rauchige, gebratene Fleisch. Die Eingeborenen tragen sie hinunter in ein Wäldchen, durch das der Bach fließt, grünes Laub wölbt sich darüber. Auf der anderen Seite hat sich ein weiteres Dutzend Schwarze um ein Feuer versammelt. An einer Seite stehen fünf kleine Hütten. Frauen kümmern sich um dicke Babys oder halten Fleisch an Spießen über das Feuer; die Männer sitzen auf Felsbrocken, reden, schärfen ihre Speere oder reparieren Waffen. Keiner von ihnen trägt Kleidung. Isabella hat noch nie einen nackten Mann gesehen, im Schlafzimmer zusammen mit Arthur war es immer dunkel. Sie weiß nicht, wohin sie ihren Blick richten soll.
»Was habt ihr mit mir vor?« Essen diese Eingeborenen Menschen?
Doch ihr Entführer legt sie behutsam auf den Boden und ruft etwas. Binnen Sekunden taucht eine große Frau mit sanften Augen und pendelnden Brüsten auf, und ihre Begleiter erklären ihr die Lage. Die Frau hilft Isabella, sich aufzusetzen, und führt die Hand zum Mund. Man fordert sie auf zu essen.
»Ja! Ja. Essen. Ja.«
Einige rufen etwas in ihrer Sprache, dann bietet man ihr einen Speer mit einer gebratenen Eidechse an. Sie reißt ein Stück weißes Fleisch ab und schiebt es bedenkenlos in den Mund. Es ist weich, ein bisschen zäh und schmeckt nach Rauch. Doch sie ist so hungrig, dass es für sie die beste Mahlzeit ist, die sie je gegessen hat.
Während sie isst, redet die Frau sanft auf sie ein, säubert die Wunde und bestreicht sie mit einer scharf riechenden Salbe. Dann kümmert sie sich um den Biss an Isabellas Hand und sagt etwas dazu. Isabella erwidert, sie könne sie nicht verstehen, doch die Frau spricht einfach weiter. Ein Kind, das gerade laufen lernt, tapst auf sie zu und ergreift Isabellas freie Hand. Isabella lächelt, wie verzaubert von den runden Wangen und den dunklen Augen. Das Kind schiebt ihren Ärmel hoch und betrachtet ehrfürchtig die weiße Haut. Etwas an der Berührung des Kindes hilft ihr, sich zu entspannen. Das Kleine wirkt gesund und glücklich. Also müssen die Leute, die es aufziehen, gute Menschen sein.
Sie wendet sich zu der Frau und sagt mit einem warmen Lächeln: »Danke.« Die Frau mag die Worte nicht kennen, versteht aber die Bedeutung dahinter.
Sie deutet auf die Hütten und dann zum Himmel. Es wird dunkel. Die Frau bietet ihr eine Unterkunft für die Nacht an.
Isabella schaut zu der Hütte mit der offenen Vorderseite. Am Nachmittag sind Wolken aufgezogen, es könnte regnen. Die Kiste liegt noch da, wo sie hingefallen ist. Aber wer sollte sie stehlen? Es könnte gewiss nicht schaden, über Nacht hierzubleiben. An einem weichen, geschützten Ort zu schlafen, am Morgen vielleicht noch etwas zu essen.
Isabella nickt. »Ja, danke.«
***
Isabella liegt auf weichem Laub und Tierhäuten und schläft wie eine Tote. Als sie aufwacht, bietet die Frau mit den weichen Fingern ihr etwas zu essen an und versorgt die Wunde. Als Isabella aufstehen will, drückt sie sie hinunter und schnalzt mit der Zunge. Die Botschaft ist klar und deutlich. Dir geht es nicht gut. Du musst noch ein bisschen bleiben. Isabella nimmt dankbar an. Sie verbringt den Tag damit, die Eingeborenen bei ihren Tätigkeiten zu beobachten, sie jagen Fische, Eidechsen und wilde Hunde, bringen Körbe voller Beeren und Früchte, die Isabella von ihrer langen Wanderung kennt. Sie ernähren sie gut. Regen zieht auf. Sie fragt sich, ob es die einzigen Menschen im Umkreis von Hunderten Meilen sind, ob sie einfach ihr Schicksal mit ihrem verbinden und Mitglied ihres Stammes werden soll. Dann würde sie jedenfalls nie wieder hungern. Doch der Wunsch, zu der Kiste, zu Daniels Armband zurückzukehren, ist stark. Sie muss zu ihrer eigenen
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