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Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)

Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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Familie, zu ihrer Schwester. Sie nimmt sich vor, am nächsten Morgen weiterzuziehen.
    Sie schläft tief bis kurz vor der Morgendämmerung, als ein verworrener Traum vor ihren Augen vorbeizieht. Sie ist wieder mit Daniel schwanger, Blut strömt zwischen ihren Beinen hervor, doch als sie hinunter in den Sand schaut, sieht sie kein Baby, sondern nur die kalten Leichen ihrer Reisegefährten. Sie gebiert den Tod. Mit einem Ruck wacht Isabella auf und versucht, sich mit der Tatsache zu trösten, dass sie am Leben und in Sicherheit ist. Aber es gibt keinen Trost, nur Elend, das so grau ist wie das Licht vor der Dämmerung.
    Isabella steht auf. Noch ist niemand wach. Sie muss weg von hier; dieser Traum hat sich in den Bäumen über ihr gefangen, ist in den sandigen Grund gesickert und würde den ganzen Tag, die ganze Woche über ihr schweben. Ihr Kopf tut nicht mehr weh, und sie ist stark genug, um allein zu gehen. Sie muss die Kiste holen und nach Süden aufbrechen, wo es gewiss Häuser und gekochte Mahlzeiten auf Tellern gibt. Leise schleicht sie im Dämmerlicht an den Eingeborenen vorbei und zwischen die dunklen Bäume. Die Kiste liegt noch unberührt da, wo die Männer sie mitgenommen haben. Sie zieht wieder das Seil durch den Messinggriff und schleppt sie hinter sich her zum leeren Strand.
    Wolken klammern sich an den dunklen, tosenden Himmel. Es wird noch mehr Regen geben, immerhin eine Atempause nach der sengenden Sonne.
    Isabella spürt einen Stich im Herzen. War das ein Blitz? Sie schaut nach Süden zu den Wolken hinauf. War es ein Blitz? Oder war es …
    Da. Schon wieder. Ein Licht, kaum zu sehen in der grauen Morgendämmerung, streicht über die Wolken und verschwindet wieder.
    Ein Leuchtturm. Plötzlich ist sie hellwach. Die Hoffnung wird neu geboren.
    Denn wo ein Leuchtturm ist, gibt es auch einen Leuchtturmwärter.

    Der Strand zieht sich endlos dahin. Das Meer ist heute fast smaragdgrün, die Schaumkronen weißer als frisch gefallener Schnee. Unaufhörlich rauscht und donnert es, und Isabella setzt einen Fuß vor den anderen und zerrt ihre Last über den Sand. Der Rhythmus des Gehens und Stehens verändert sich. Es gibt genügend Bäche, an denen sie ihren Durst stillen kann; sie weiß jetzt, welche Beeren und Früchte essbar sind, selbst wenn sie hart und trocken schmecken. Aber sie ist nur ein Mensch. Ihre Kraft lässt nach. Die Pausen werden länger. Die Strecken dazwischen immer kürzer. Aus dem Gehen wird ein Dahintrotten, Taumeln, Stolpern, ohne auf den Knien zu landen. Sie versucht, jeden Tag ein wenig weiter zu kommen, zwischen dem späten Nachmittag und dem Einbruch der Nacht, langsam, um Kraft zu sparen. Eine gewaltige, schmerzhafte Leere umgibt sie, durchdringt sie, wohnt in ihr. Allein, allein , scheint der Ozean zu sagen. Langsam, nachdenklich, endlos. Wenn sie geht, ist sie still; doch wenn sie stehen bleibt, spricht sie, ohne es selbst zu wissen. Sie hört ihre eigene Stimme und ist erschrocken. Warum spricht sie? Was sagt sie? Sie befiehlt sich aufzuhören, aber wenige Minuten später hört sie wieder ihre Stimme. Isabella lässt es geschehen. Sie ist zu müde, um ihre Gedanken zu kontrollieren. Die Konzentration entgleitet ihr, ihr Geist öffnet sich, und sie kann hinter die Welt blicken, sieht die großen Zahnräder, die sich drehen, sieht das Innere in seiner ganzen strahlend heißen Bedeutungslosigkeit. Nun, da sie es gesehen hat, wird sie es für immer in sich spüren. Sicherheit, Nahrung, selbst das Glück mögen eines Tages wiederkehren, doch es ist zu spät. Sie kennt bereits die Wahrheit über das Leben.
    Ihre Arme tun weh. Sie geht weiter.
    Immer weiter.

    Isabella zählt nicht die Tage. Sie weigert sich, darüber nachzudenken, weil sie dann die pochende Erschöpfung spürt, die verzweifelte Angst, dass es im Süden wirklich nichts geben könnte. Gar nichts. Die Nächte sind wolkenlos. Sie hatte immer eine lebhafte Phantasie; vielleicht war auch der Leuchtturm nur Einbildung. Bevor sie aufbricht, watet sie jeden Tag ins warme Meer, um einen klaren Kopf zu bekommen, ihre Wunden zu waschen, Mut zu sammeln, und lässt sich eine Weile davon tragen. Ihr Kleid, ihr ehemals gutes Kleid für Stadtbesuche, ist zerfetzt, verkrustet mit Blut und Schmutz. Es bläht sich um sie herum wie eine riesige Qualle. Sie schließt die Augen, spürt die Bewegung des Meeres. Dann öffnet sie sie wieder und blickt nach Süden.
    Und an diesem Tag kann sie es sehen. Klar und deutlich mit ihren eigenen Augen,

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