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Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)

Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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Sie hat gesehen, wie die Köchin einen Vogel gerupft und ausgenommen hat, also weiß sie, was zu tun ist. Doch sie hat noch nie Feuer gemacht. Sie konzentriert sich auf diese eine Aufgabe, sucht Steine für eine Feuergrube, Reisig und einige gute, trockene Stöcke, die sie aneinanderreiben kann. Sie hat Blut an den Händen und zwingt sich, nicht zimperlich zu sein, es gehört doch zum Essen. In allen Küchen der Welt wird regelmäßig Blut vergossen. Sie reibt die Stöcke aneinander. Nichts passiert. Sie versucht es noch einmal. Sie hockt sich hin und stößt einen frustrierten Schrei aus, der ihr die Kehle zerreißt. Sie reibt die Stöcke weiter aneinander. Wo bleibt das Feuer? Wo bleibt das verdammte Feuer?
    Ein Geräusch. Sie zuckt zusammen und schießt herum.
    Ein Hund. Nein, ein Wolf. Eine Mischung aus Hund und Wolf steht auf der anderen Seite der Kiste. Sie sieht das Tier, die tote Möwe und springt vor.
    Der wilde Hund macht ebenfalls einen Satz. Er reißt die Kiefer auseinander, um nach der Möwe zu schnappen, als ihre Hand die weichen Federn berührt. Der wilde Hund zögert nicht. Er lässt den Vogel fallen und schließt die starken, scharfen Zähne um ihre Hand. Isabella schreit. Ein heißer, reißender Schmerz. Sie will die Hand zurückziehen, aber der wilde Hund hält sie fest. Sie zieht die andere Hand hervor, ballt sie zur Faust und schlägt auf den Kopf des wilden Tieres ein. Er lässt sie los, sie kippt nach hinten, und der Hund ist verschwunden – mitsamt der toten Möwe.
    »Nein!«, schreit sie. »Nein, nein, nein!« Blut quillt aus ihrer verwundeten Hand; die Form des Mauls zeichnet sich naturgetreu auf der sonnenverbrannten Haut ab. Sie nimmt den Unterrock vom Kopf und wickelt ihre Hand darin ein, um das Blut zu stillen. Die Leere in ihrem Inneren, um sie herum. Alles ist leer. Sie fällt schwer auf die Kiste und kann sich nicht mehr bewegen.

    Am frühen Abend spielt ihr Verstand ihr Streiche, denn sie riecht gebratenes Fleisch. Sie steht auf und schnuppert. Das Wasser läuft ihr im Mund zusammen, doch sie weiß, dass sie es sich einbildet, wie eine Fata Morgana in der Wüste – nur sehnt sie sich nicht nach Wasser, sondern nach Essen. Sie steht auf und schnallt sich wieder die Kiste auf den Rücken, fest entschlossen, etwas zu essen zu finden, selbst wenn ihr davon schlecht wird. Ohne Nahrung kann sie nicht weitergehen. Sie pflückt rücksichtslos die rosa Beeren von den Bäumen, so hoch sie reichen kann, und saugt an ihnen. Sie kämpft sich zwischen Ästen und wucherndem Unterholz hindurch, ohne auf das Netz aus Kratzern zu achten, das sich unter ihren zerrissenen Ärmeln auf der Haut ausbreitet. Sie bleibt häufig stehen, um aus dem Bach zu trinken. Ihr Kopf hämmert, und ihre Gedanken sind dunkel und wirr. »Sch«, sagt sie zu sich. »Sch, sch.« Nicht daran denken. Sobald du essen kannst, wird alles wieder gut. Alles wird gut. Wenn ihr Magen erst voll ist, kann sie geradewegs nach Süden laufen. Sie wird eine Stadt finden, und dort wird es Essen geben: gebratenes Rindfleisch und neue Kartoffeln. Yorkshire-Pudding und Bratensoße.
    Isabella ist zu sehr in ihre Selbstgespräche vertieft, um die Schritte zu hören. Ein dunkler Schatten lässt sie aufblicken, und das Herz schlägt ihr bis zum Hals. Zwei schwarze Männer stehen vor ihr, sie tragen nichts außer Muschelarmbändern. Jeder von ihnen hält einen langen Speer in der Hand.
    Sie kreischt. Weicht zurück, will weglaufen, stolpert aber über einen Ast und fällt mitsamt der Kiste auf dem Rücken zu Boden. Der Aufprall ist hart, Schmerz schießt durch ihren Nacken. Sie schreit und streckt die Arme in die Luft. Die Dunkelheit kommt sofort, sie kann ihr nicht entfliehen.

Acht
    I hr Gesichtsfeld ist nur ein schmaler Spalt, ruckartige Bewegungen, hell und dunkel. Sie schließt die Augen wieder, will zurück an den dunklen, weichen Ort. Etwas ist nicht in Ordnung. Sie zwingt sich, die Augen zu öffnen, Schmerz dröhnt in ihrem Kopf. Sie versucht, Arme und Beine zu bewegen, aber sie sind schlaff und schwach. Sie blinzelt rasch, merkt, dass sie von einem der Eingeborenen in den Armen getragen wird wie ein Kind. Sie wehrt sich, und er drückt sie fester an seine nackte Brust. Sie hebt die Hände, um ihm die Augen auszukratzen, aber er fängt sie mühelos ab und hält sie vor ihren Bauch. Er sagt etwas zu seinem Gefährten, und Isabella erkennt, dass sie die Kiste aus Walnussholz nicht mehr hat. Diebe! Entführer! Was werden sie ihr antun? Sie

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