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Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)

Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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hat. Sie geht den Strand hinauf und in den Wald, bückt sich und schöpft Wasser in ihren Mund. Der starke Regen hat den Bach schnell und reißend gemacht. Das Wasser schmeckt seltsam mineralisch, aber das ist ihr egal. Sie trinkt, bis ihr Bauch schmerzt. Sie beschließt, die Nacht und den nächsten Morgen hier zu verbringen, wo sie das Wasser hören und sicher sein kann, dass sie nicht verdursten wird. Der Boden ist weich. Sie liegt lange da, ohne zu schlafen, und schaut zwischen den stacheligen Blättern hinauf zu den fremden Sternen.
    ***
    Am nächsten Morgen wird Isabella vom Hunger geweckt. Ihre Füße sind wund, die Hände voller Blasen, aber sie spürt nur den Hunger. Sie ist keine Frau mehr, nur ein einziger großer Schmerz. Sie muss etwas zu essen finden. Sie weiß, sie muss tapfer sein und sich tiefer in den Wald wagen.
    Mit schwachen, zitternden Fingern umwickelt sie die Kiste mit dem Seil aus dem Unterrock und bindet sie auf den Rücken. Sie hat Zeichnungen von Eingeborenenfrauen gesehen, die ihre Kinder so tragen. Langsam folgt sie dem Bachlauf, steigt über Steine und Zweige und morastiges Laub. Trotz des dichten Blattwerks findet sie einen schmalen, sandigen Weg. Sie hört fremdartige Vogelstimmen und sehnt sich nach Amseln.
    Dann sieht sie eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Sie zuckt zusammen und dreht sich um, wobei sie eine große grün-braune Eidechse entdeckt, die ihre Beine um einen schmalen Baumstamm geschlungen hat. Sie schaut sie an; Isabella erwidert den Blick.
    Trotz der Angst und des Ekels begreift sie, dass sie sie fangen, kochen und essen könnte.
    Doch die großen Krallen sehen scharf aus, und sie zögert so lange, bis das Tier den Baum hinaufhuscht und auf einen Ast läuft. Jetzt kann Isabella nur noch den Schwanz sehen und wünscht sich, sie wäre entschlossener vorgegangen, denn ihr Magen dröhnt vor Hunger, und sie fühlt sich schwach und schwindlig.
    Sie schaut sich um. Die Bäume versperren die Sicht auf den Strand, aber sie kann noch den Ozean hören und weiß, dass sie den Weg zurückfindet. Weiter in den Wald? Aber wieso? Was hofft sie dort zu finden? Die Verzweiflung überkommt sie, aber sie fällt nicht auf die Knie, schlägt nicht mit dem Kopf gegen einen Baum. Sie schleppt sich weiter, verletzt sich die Fußsohlen an Steinen und Ästen. Ihre Augen suchen die ganze Zeit. Sie weiß nicht, was essbar ist und was nicht. Sie entdeckt einen Busch mit gekräuselten gelben Blüten und eiförmigen Beeren. Einige sind auf den Boden gefallen. Isabella hebt eine auf und dreht sie in den Fingern. Wenn sie nun giftig ist?
    Wenn sie giftig ist, stirbt sie immerhin schnell.
    Isabella isst die süße grüne Beere. Ein Samenkorn knirscht zwischen ihren Zähnen, und sie spuckt es aus. Sie isst alle abgefallenen Früchte und pflückt weitere vom Busch. Die gepflückten sind noch hart und sauer. Sie geht weiter in den Wald hinein und sucht nach herabgefallenen Früchten. Ihr Magen heult auf. Eine Handvoll Beeren kann sie nicht satt machen, doch immerhin hat sie etwas gegessen.
    Die Sonne scheint jetzt warm vom Himmel, und sie kann nicht ertragen, wie der Schweiß unter ihren Brüsten hervorsickert. Ihr Rücken tut weh, also nimmt sie die Kiste herunter und stellt sie zwischen dunklen Baumwurzeln ab. Sie setzt sich darauf und versucht, die sonnenverbrannten Hände in den Schattenflecken zu halten.
    Eine Bewegung im Unterholz, etwas Weißes blitzt auf. Isabella schaut misstrauisch hin, steht auf und geht darauf zu. Eine Möwe: verletzt oder alt, sie stützt sich auf einen Flügel, kann weder fliegen noch weglaufen.
    Der Instinkt ist stärker als alles andere. Sie hat seit vier Tagen nichts anderes als Beeren gegessen. Rasch greift sie nach einem Stein, kneift die Augen halb zu und lässt ihn auf den zarten Schädel des Vogels niedersausen. Er rührt sich nicht mehr.
    Isabellas Magen dreht sich bei dem Gedanken an ihre Tat um. Sie hat noch nie etwas getötet, und in ihrem schwachen, verletzlichen Zustand zerreißt es ihr das Herz, weil sie die Möwe, die so um ihr Leben gekämpft hat, grausam ermordet hat. Sie kauert sich neben die zermalmte Leiche, vergräbt die Hände im Haar und schluchzt. Das Schluchzen klingt laut in der frischen Seeluft, donnert durch den stacheligen Wald, sinkt zu Boden und lässt ihn erzittern.
    Der Hunger mahnt sie, mit dem Weinen aufzuhören. Sie muss weitergehen. Sie hebt den Vogel an den Füßen hoch und legt ihn vorsichtig auf die Kiste, ohne ihn näher zu betrachten.

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