Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
in die Stadt. Sie will hierbleiben, völlig still, auf diesem Hocker. Die Qual sollte eigentlich vorbei sein, aber das ist sie nicht. Und sie begreift, dass sie nie vorbei sein wird. Sie war schon zerbrochen, bevor das Schiff unterging.
Dann spricht er mit unendlich sanfter Stimme, obwohl er so groß und stark ist. »Mary, Sie können heute Nacht hierbleiben. Morgen können Sie baden und sich herrichten. Mrs. Fullbright hält viel auf Anstand, ein zerrissenes Kleid und ein schmutziges Gesicht wird sie nicht dulden. Sie können nicht länger als eine Nacht hierbleiben. Das gehört sich nicht.« Isabella bemüht sich, ihn trotz ihrer Verwirrung zu verstehen. Endlich begreift sie, dass er um ihren Ruf besorgt ist. Der interessiert sie nicht länger, aber sie nickt, weil sie begreift, dass er seine Meinung nicht ändern wird.
»Vielen Dank. Vielen Dank.«
Sie isst und kehrt in das schlichte, rauhe Bett zurück. Die Matratze gibt unter ihr nach. Das Zimmer ist eindeutig männlich: keine hübschen Kissen, keine Vorhänge, keine Tischdecke, keine kristallenen Karaffen oder Blumenvasen. Es riecht nach Tabak, Papier, Öl und Staub. Nach den Sachen von Matthew Seaward. Und sie schläft tief und traumlos in seinem Bett.
Neun
2011
L ibby nahm sich eine ganze Woche Zeit, um Ordnung in ihr Leben zu bringen und einen festen Tagesablauf einzuführen. Sie kam sich vor wie eine Ameise, deren Wege weggespült wurden und die sich an einem neuen Ort einen neuen Pfad suchen muss. Sie kaufte im örtlichen Lebensmittelgeschäft ein und erfuhr den Namen des Besitzers, während er ihr Gemüse einpackte. Sie ließ Strom und Telefon anschließen und bestellte einen Fensterputzer. Außerdem besorgte sie sich einen Ausweis für die Leihbücherei und reinigte ihr Haus von oben bis unten. Ihrer Schwester ging sie aus dem Weg: Die kühle Begrüßung hatte gezeigt, dass Juliet ihr nach wie vor nicht wohlgesinnt war. Jeden Tag ging sie im Meer schwimmen, wenn es allmählich Abend wurde und die hellen Lichter von Noosa im nebelverhangenen Süden zum Leben erwachten. Und sie zeichnete, verbrachte viele Stunden im gut beleuchteten Atelier, zusammengerollt im Schaukelstuhl, den Zeichenblock auf den Knien. Sie plante, sehr bald mit einem Gemälde zu beginnen.
Zwischen den einzelnen Aktivitäten musste sie sich ausruhen und mit den Tränen kämpfen. Die Trauer lag noch immer schwer über jedem Gedanken und jeder Handlung. Doch sie zwang sich, weiterzumachen und dieses neue Leben zu gestalten. So hätte Mark es sich gewünscht.
Eine Woche nach ihrer Ankunft kaufte Libby eine neue SIM-Karte für ihr Handy und lud es auf, bevor sie sie einsetzte, um zu sehen, ob sie noch irgendwelche Nachrichten erhalten hatte. Überrascht hörte sie die vertraute Stimme von Cathy, Marks Sekretärin, auf der Mailbox.
»Guten Morgen, Libby. Hier ist Cathy von der Firma Winterbourne. Es wäre schön, wenn Sie mich zurückrufen könnten. Ich habe Post für Sie und brauche Ihre Adresse.«
Verwirrt hörte Libby die Nachricht noch einmal ab. In England war es jetzt ein Uhr morgens. Sie würde ihre Neugier acht Stunden lang bezähmen müssen.
Die Fenster boten einen wunderbaren Ausblick: ein breiter Keil blauen Meeres, auf dessen weißen Schaumkronen sich goldenes Sonnenlicht brach. Sie dachte wieder an Mark. Manchmal konnte sie ihn für selige fünf oder zehn Minuten vergessen. Ihr Körper schmerzte noch immer, doch manchmal spürte sie nicht, wie tief erschüttert sie war. Dann kehrte der Schmerz zurück, und sie hasste sich, weil sie vorübergehend nicht an ihn gedacht hatte.
Irgendwie überstand sie den Tag, vertiefte sich in ihre Zeichenarbeit, das Saubermachen und das Schwimmen im Meer. Nach dem Duschen stellte sie eine Tiefkühllasagne in die Mikrowelle und rief in London an.
Ihr Herz hämmerte, während es am anderen Ende klingelte. Als sie die Nummer das letzte Mal angerufen hatte, hatte sie sich noch wie immer gemeldet: »Hallo, Cathy, hier ist Libby Slater. Ich würde gerne mit Mark sprechen.« Sie würde sich einen neuen Satz überlegen müssen.
»Juwelier Winterbourne, Cathy am Apparat.«
»Cathy, hier ist Libby Slater. Ich sollte zurückrufen.« Na bitte, das war doch gar nicht so schwer.
»Ach, hallo, Libby. Wir konnten Sie nicht finden, Sie sind ja nicht mehr bei Pierre-Louis.«
»Ich bin wieder in Australien.«
»Das kam aber plötzlich.« Sie vermutete, dass Cathy als Einzige von ihrer Affäre mit Mark gewusst hatte.
»Ich war dort schon lange
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