Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
durch die schmalen Straßen zwängten. Sie ließ das Fenster herunter und atmete Meeresluft und Sonnenschein ein. Die Fahrt nach Norden dauerte eine knappe Stunde und führte schnurgerade durch Zuckerrohrfelder.
Winterbourne Beach war kleiner als Lighthouse Bay, ein winziges Dorf, umgeben von Buschland und einem gewaltigen verlassenen Strand, an dem ein Gemischtwarenladen gleichzeitig als Touristeninformation diente. Sie hielt an, kaufte sich einen Schokoriegel und einen Saft und griff nach einer Broschüre über Freizeitaktivitäten, die in der Bucht angeboten wurden.
Lust auf Schatzsuche? Tauchen Sie zur Aurora! Libby drehte die Broschüre um und überflog sie. Laut Karte wohnte der Eigentümer der Tauchfirma nur vier Häuser weiter. Da sie keinen Handyempfang hatte, beschloss sie, ihn zu besuchen. Bald stand sie im heißen Sonnenschein vor einem Holzhaus, vor dem ein Anhänger mit einem großen Motorboot parkte. Wenn das Boot da war, würde wohl auch der Besitzer zu Hause sein.
Sie war gerade auf dem Weg zur Tür, als ein Mann mit nacktem Oberkörper und gewaltigem Bauch hinter dem Boot auftauchte und unwirsch rief: »Heute kein Tauchen.«
Libby lächelte. »Ich will nicht tauchen, ich wollte Ihnen nur ein paar Fragen stellen. Hätten Sie kurz Zeit für mich?«
Er wischte sich die Hände an einem schmierigen Lappen ab. Es sah aus, als hätte er am Motor gearbeitet. »Was wollen Sie denn wissen?«
»Die Geschichte des Wracks.«
Er nickte. »Hören Sie, Schätzchen, mein Boot ist seit einer Woche außer Betrieb. Ich habe schon eine Menge Geld verloren. Wenn Sie mir fünfzig Mäuse zahlen, mache ich Ihnen einen Kaffee und erzähle Ihnen alles, was ich weiß. Aber nur gegen Bares.«
Libby spreizte die Finger. »Einverstanden. Ich hoffe nur, es ist guter Kaffee.«
Der Mann grinste und streckte ihr eine fleischige Hand entgegen. »Ich bin Graeme Beers.«
»Libby Slater. Es ist mir ein Vergnügen.«
Er führte sie durch ein helles, luftiges Wohnzimmer und bot ihr einen Tisch auf einer breiten Veranda an, von der man über das Buschland auf den Ozean blickte. Die Sonne schien ihr auf die Schultern, und sie ärgerte sich, dass sie sich nicht eingecremt hatte. Sie schob den Stuhl so weit wie möglich an die Wand, um sich vor der Sonne zu schützen.
Libby konnte sich nicht vorstellen, dass sie den Kaffee in der feuchten Hitze, umgeben von Sandfliegen, genießen würde, doch er schmeckte ausgezeichnet. Genau die richtige Stärke, serviert in einer großen weißen Tasse mit cremiger Milch und einem Keks mit Mangogeschmack. Dann und wann erhob sich eine frische Brise vom Ozean, kühlte ihre Haut und zerzauste ihre Haare. Es war ganz anders, als mit Mark in Paris Kaffee zu trinken, aber sie genoss es.
Graeme hatte ein blaukariertes Hemd übergezogen. Er legte eine Plastikmappe auf den Tisch und setzte sich zu ihr.
»Sind Sie neu in der Stadt?«
»Eigentlich nicht. Ich bin in Lighthouse Bay aufgewachsen. Daher habe ich schon vom Winterbourne-Schatz gehört. Aber als ich noch hier wohnte, habe ich mich nie sonderlich für das Wrack interessiert.«
»Und warum haben Sie Ihre Meinung geändert?«
»Ich habe einige Jahre mit der Firma Winterbourne zusammengearbeitet.« Ein leiser Stich; warum konnte sie es nicht einfach laut aussprechen? Mark Winterbourne und ich waren ein Liebespaar. Immer noch ein Geheimnis. Auf ewig ein Geheimnis.
Graeme nickte beeindruckt. »Also, das Wrack der Aurora. Es passierte im April 1901. Damals gab es hier noch keinen Ort. Meilenweit nur leere Küste, einige Aborigines und viele wilde Tiere. Die Aurora war eine Dreimastbark …« Er nahm die erste Plastikhülle aus der Mappe und zeigte ihr das verschwommene Foto eines prachtvollen Segelschiffs. »Ein Frachtschiff, das in Glasgow gebaut wurde und sich im Privatbesitz von Captain Francis Whiteaway aus Bristol befand. Er war immer auf See; fuhr zwischen Australien und England hin und her und machte ein Riesenvermögen. Er importierte für die reichen Leute hier unten Fliesen und Vorhänge und solchen Schnickschnack und nahm Wolle für die frierenden Engländer mit. Zum Zeitpunkt des Schiffbruchs war er dreiundvierzig.« Er trank geräuschvoll von seinem Kaffee und erzählte weiter.
»Diesmal hatte er eine ziemlich wertvolle Ladung dabei. Königin Victoria hatte einen Amtsstab als Geschenk für die australische Bundesregierung in Auftrag gegeben.« Er zeigte ihr ein Aquarell, möglicherweise die Kopie eines Entwurfs, den der Goldschmied
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