Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
noch immer nicht, wie sie bezahlt wird. Wöchentlich? Monatlich? Am Ende ihrer Dienstzeit? Wie soll sie den Fullbrights vertrauen? Sie hat nicht einmal mit ihnen über die Bezahlung gesprochen. Sie geben ihr Kost und Logis, also wird sie nicht sonderlich viel verdienen, aber sie braucht das Geld. Matthew hat einen elektrischen Telegrafen in seinem Häuschen; sie möchte ihrer Schwester ein Telegramm schicken, um ihren Besuch anzukündigen. Sie hofft insgeheim, dass ihre Schwester ihren Ehemann davon überzeugen kann, Isabella Geld zu schicken, damit die Schufterei nicht ganz so lange dauert.
Obwohl sie den kleinen Xavier vermissen wird.
Er sitzt ihr gegenüber in der Küche und hilft, Wolle zu sortieren. Das Kind ist überaus intelligent, auch wenn es nicht spricht. Sie hat gesehen, wie er ihr mit den Augen folgt, wenn sie ihm abends vorliest, und gebieterisch den Zeigefinger hebt, wenn sie ein Wort überspringt oder zu früh umblättert. Er trennt mühelos das Dreifach-Garn vom Vierfach-Garn, die dunklen Augen konzentriert auf die Wolle gerichtet, den Daumen fest zwischen den Lippen. Sie horcht auf Katarina, die das Daumenlutschen entschieden ablehnt, weil es angeblich daran schuld ist, dass er nicht spricht.
»Gut gemacht, Xavier.«
Er schaut sie nicht an, doch sie sieht das Lächeln in seinen Mundwinkeln. Vermutlich beginnt er sie zu mögen.
Schritte. Isabella zieht ihm rasch, aber sanft den Daumen aus dem Mund. Er scheint zu verstehen, dass sie Komplizen sind, und wischt den Speichel an der Hose ab.
»Mary?«, fragt Katarina und bleibt auf der Schwelle zur Küche stehen. »Mr. Fullbright hat heute Mittag Gäste und möchte Xavier ohne sein Kindermädchen dabeihaben. Du kannst der Köchin helfen.«
»Ich bin seit über einer Woche hier, Mrs. Fullbright. Die Köchin hat einen Nachmittag in der Woche frei. Kann ich das nicht auch haben?«
Katarina schaut sie an. »Vermutlich schon. Die Köchin wird auch alleine zurechtkommen. Es ist ja nur ein Gast.«
»Und wann werde ich bezahlt, Mrs. Fullbright?«
»Du bist ganz schön geradeheraus.«
Isabella ist sich nicht sicher, ob es ein Tadel oder ein Kompliment ist, also schweigt sie. Sie hat zum ersten Mal in ihrem Leben nach Geld fragen müssen.
»Diese Woche ist es etwas knapp. Ich kann dir jetzt zwei Shilling geben. Den Rest bekommst du von Mr. Fullbright am Ende des Monats, wenn seine Gläubiger bezahlt haben.« Katarina wendet sich ab, als wäre ihr das Gespräch über Geld peinlich. »Künftig solltest du nur mit ihm über deinen Lohn sprechen.«
Das Haus steht kopf, als die Köchin angewiesen wird, einen Braten für den Gast, einen sehr reichen Freund von Ernest namens Abel Barrett, zuzubereiten. Isabella hilft ihr mit dem Gemüse und dem Teig für den Yorkshire-Pudding, während sie zwischendurch mit Xavier und seinen Holzpferden im Kinderzimmer spielt.
Kurz vor dem Mittag sucht Ernest sie dort auf.
»Du brauchst Geld?« Er hat die Mundwinkel missbilligend herabgezogen.
Sie würde gerne sagen: »Nein, Sie schulden mir Geld«, aber das würde ihn nur erzürnen. Sie muss sich als Bittstellerin geben, was sie im Grunde auch ist. »Ja, Sir. Und Mrs. Fullbright sagt, ich könne den Nachmittag freihaben.«
»Ha. Es ist gefährlich, eine Frau mit Geld in der Tasche und ohne Beschäftigung in die Stadt zu schicken. Dennoch, wenn Katherine es dir versprochen hat …« Er holt einige Münzen heraus.
»Danke, Sir.« Sie nimmt sie entgegen.
Er faltet die Hände hinter dem Rücken und beugt sich zu Xavier, der nicht von seinen Holzpferden aufgeblickt hat. »Komm mit, junger Mann. Wir haben Besuch.«
Xavier schaut sehnsüchtig zu seinen Pferden und dann zu Isabella, die ihm aufmunternd zulächelt. »Geh nur, Xavier. Ich mache den Teig nur für dich. Wir sehen uns heute Abend.«
Dann sind sie weg, und Isabella begibt sich ins Badezimmer, um sich zu waschen, bevor sie sich auf den Weg zum Leuchtturm macht. Sie wird Matthew zum ersten Mal sehen, seit sie von dort weggegangen ist. Es scheint ewig her, obwohl es kaum mehr als eine Woche zurückliegt, und sie versteht auch nicht ganz, weshalb sie sich unbedingt für ihn waschen und kämmen will. Sie war nie eitel, doch Matthew hat sie nur zerlumpt und sonnenverbrannt gesehen. Dabei galt sie einmal als schön.
Um das Haus zu verlassen, muss sie durchs Wohnzimmer gehen. Sie hält an der Haustür inne und wirft einen Blick ins Esszimmer, wo Abel Barrett mit Ernest ins Gespräch vertieft ist. Abel blickt auf, ihre
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