Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
Augen begegnen sich. Er wendet sich an Ernest, und sie weiß, dass er nach ihr fragt. Sie zögert: Soll sie warten und sehen, ob man sie holt, um ihn zu begrüßen? Doch dann kommt Katarina dazu und verscheucht sie mit einer theatralischen Geste. Isabella schlüpft aus dem Haus und läuft die Stufen hinunter.
Der Himmel ist grau, eine bleierne Decke zwischen Erde und Sonne. Trotz seines Gewichts fühlt sie sich leicht, weil sie frei von allen Pflichten ist. Früher hat sie immer so gelebt, ohne zu wissen, wie süß es ist, unbelastet zu sein. Sie ist versucht, in die Stadt zu gehen und sich die Schaufenster anzusehen. Doch sie wird sich ohnehin nichts leisten können. Also nimmt sie den zugewucherten Weg, der bergauf zum Leuchtturm führt.
Sie klopft entschlossen und wartet. Einige Augenblicke vergehen, und ihr fällt ein, dass Matthew nachmittags schläft. Es ist ihr furchtbar peinlich, dass sie ihn womöglich aufgeweckt hat; zugleich wäre sie enttäuscht, wenn er weiterschliefe und sie nicht mit ihm sprechen könnte.
Schritte ertönen im Inneren. Die Tür geht auf. »Isabella?« Er streicht sich mit der Hand über den Bart.
»Es tut mir leid. Habe ich Sie geweckt?«
»Nein. Ich habe nur Büroarbeit erledigt.«
»Ich muss meiner Schwester ein Telegramm schicken.«
»Dann kommen Sie herein. Kommen Sie herein.«
Der Geruch überwältigt sie: Sie assoziiert ihn mit der sicheren Zuflucht, die sie nach Tagen des Leidens gefunden hat. Sie fühlt sich sofort sicher und ist auch ein bisschen traurig, als sie sich an die Zeit im Leuchtturm erinnert. Sie setzt sich an den Tisch.
Matthew bringt ihr ein Formular und einen Füllfederhalter. »Hier. Schreiben Sie die Adresse und die Nachricht hinein.«
»Wie viel kostet das?«
Matthew schüttelt den Kopf. »Ich berechne Ihnen nichts.«
Isabella trägt die Adresse ein und zögert. Was soll sie schreiben? Dann setzt ihr Herz eine Sekunde lang aus: Wenn ihre Schwester nun die Winterbournes verständigt?
Matthew bemerkt ihr Zögern. »Was ist los?«
»Vielleicht ist es nicht sicher, ihr zu sagen, wo ich bin.«
»Vertrauen Sie ihr?«
Isabella überlegt und nickt dann.
»Vertrauen Sie ihrem Mann?«
»Ich bin ihm nur einmal begegnet. Aber er schien ein reizender Mensch zu sein.«
Matthew zuckt mit den Schultern. »Das können nur Sie entscheiden.«
Isabella schüttelt sich. »Ich bin dumm. Wenn ich bei ihr Zuflucht suchen will, muss ich ihr vertrauen.« Immerhin vertraut sie auch Matthew. Dann beginnt es zu regnen, die Tropfen prasseln auf das Blechdach des Häuschens, und sie schreibt: Komme so bald wie möglich zu dir. Kann noch einige Monate dauern. Habe Arthur verlassen und kein Geld. Schreibe mir an den Leuchtturm von Lighthouse Bay, Australien, aber verrate keiner Seele etwas. Dann legt sie den Füllfederhalter hin und reicht Matthew das Formular. Er geht damit in den Telegrafenraum. Sie folgt ihm und bleibt abwartend auf der Schwelle stehen. Sie fragt sich, ob er von dem Schiffbruch der Aurora gehört hat, sich aber an sein Versprechen hält, keine Fragen zu stellen. Die Morsetaste klappert, als er die Nachricht übermittelt. Isabella versteht nicht, wie es funktioniert oder wohin ihre Botschaft jetzt gegangen ist, doch als Matthew fertig ist, dreht er sich um und hält ihr das Blatt hin.
»Ich kann es nicht mitnehmen.«
Matthew zerreißt es und wirft es in den Papierkorb.
»Wie lange dauert es, bis es ankommt? Kann ich warten?«
»Oh, nein. Es kann eine Weile dauern, bis Ihre Nachricht dort eintrifft. Das geht nicht in Sekunden. Obwohl das alles sehr modern ist, bleibt es im Grunde eine primitive Art der Kommunikation. Ähnlich wie im Mittelalter, als man von Hügel zu Hügel Fackeln entzündete. Wenn ein Posten das Signal nicht bemerkt, kann die Nachricht tagelang ungelesen auf einem Schreibtisch liegen.«
Sie kämpft gegen ihre Enttäuschung. »Lassen Sie es mich wissen, wenn sie antwortet?«
»Ich werde Ihnen die Nachricht bei Mrs. Fullbright überbringen.«
»Aber nur mir. Keiner darf davon erfahren. Mrs. Fullbright glaubt, ich heiße Mary.«
»Ich werde diskret sein.« Er lächelt. »Geht es Ihnen gut?«
»Ich war zu beschäftigt, um mich unwohl zu fühlen.« Sie möchte noch ein bisschen bleiben, sich tief in die Behaglichkeit des Leuchtturms sinken lassen. Draußen fällt kalter, schwerer Regen. »Dürfte ich um eine Tasse Tee bitten? Es ist noch zu nass, um nach Hause zu gehen.«
Er zögert.
»Es tut mir leid«, sagt sie, als ihr klarwird,
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