Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
Aufmerksamkeit auf sich lenkt.
Doch Arthur ist nicht hier, er liegt tot auf dem Meeresgrund.
»Mein Mann ist tot, Matthew«, sagt sie leise.
»Wovor laufen Sie dann fort?«
»Vor seiner Familie.«
Er nickt und scheint etwas sagen zu wollen, besinnt sich aber. »Sie brauchen mir gar nichts zu sagen. Vielleicht ist es sogar besser, wenn Sie es nicht tun.«
Sie gibt sich fröhlich. »Aber dann halten Sie mich für mysteriös. Für eine Frau mit einem Geheimnis. Vielleicht sogar für eine Lügnerin.«
Er hält ihren Blick in diesem Moment gefangen, noch einen Moment, die Zeit verrinnt. Sie ist sich seiner männlichen Gegenwart nur zu bewusst, des Geruchs von Öl und Meer, der Dunkelheit in seinen Augen.
»Ich könnte nicht schlecht von Ihnen denken«, sagt er schließlich. »Nie und nimmer.«
Etwas in ihr erwacht lodernd zum Leben, etwas, das sie noch nie so empfunden hat, es ist zuerst verwirrend. Eine Wärme, tief unten. Eine ungeheure Sehnsucht überkommt sie, sie will sich am liebsten mit ihrem ganzen Körper an ihn schmiegen. Das ist Begehren. Sie begehrt Matthew, den Leuchtturmwärter. Es überrascht sie, ist aber nicht unangenehm. Sie weiß nicht, was sie machen soll, also bleibt sie, wo sie ist. Er wird wohl kaum genauso empfinden und würde es für unanständig halten, wenn sie ihre Gefühle zeigte. Sie trinkt ihren Tee aus. Es hat aufgehört zu regnen. Zeit zu gehen.
»Ich bin schon zu lange geblieben. Das war sehr selbstsüchtig von mir.«
»Ich habe Ihre Gesellschaft genossen«, sagt er, und sie meint, ein leichtes Unbehagen zu erkennen. Zweifellos hat er ihr Begehren bemerkt und ist deshalb verlegen.
Sie schiebt den Hocker zurück und steht auf. »Ruhen Sie sich aus.«
»Sie hören von mir, sobald sich Ihre Schwester meldet.«
Sie stehen einen Augenblick da und schauen einander an. Dann geht Isabella zur Tür hinaus und den regennassen Weg hinunter in die Stadt.
Eine Woche vergeht, ohne dass sie von ihrer Schwester hört. Sie versucht, es zu verstehen. Vielleicht wird sie einen Brief statt eines Telegramms schicken und Geld beifügen. Vielleicht ist ihre Schwester verreist und hat die Nachricht noch nicht erhalten. Vielleicht ist sie auch mit ihrem kleinen Baby beschäftigt und hat es vergessen. Oder vielleicht … vielleicht will ihre Schwester gar nicht, dass sie kommt. Isabella hofft Tag um Tag. Es wird ohnehin etwas dauern, bis sie genügend Geld gespart hat. Sie arbeitet fleißig und versucht, für Xavier fröhlich zu bleiben, und dabei wartet sie.
Katarina und Ernest streiten jeden Abend. Isabella bringt Xavier um sechs Uhr ins Bett, hilft der Köchin bis sieben beim Saubermachen, begibt sich ins Kinderzimmer und fällt erschöpft ins Bett. Eine Stunde später, wenn die beiden glauben, dass sie schläft und sie nicht hören kann, geht es los. Sie kann die Worte nicht verstehen, hört nur die Stimmen, also weiß sie auch nicht, wieso sie damit anfangen. Doch es kommt so sicher wie das Amen in der Kirche. Die meiste Zeit schreien sie nur ein bisschen. Manchmal werden Türen geschlagen. Dann wieder kreischt Katarina, als müsste ihre Kehle bluten. Isabella hat gelernt, sich nicht einzumischen. Sie muss Xavier beschützen. Sie ist froh, nachts in dem verschlossenen Flur zu sein.
An diesem Abend liegt sie in ihrem Bett in Lighthouse Bay, doch in Gedanken ist sie weit weg in Amerika bei ihrer Schwester. Sie trinken zusammen Tee. Victorias Baby gurrt leise auf Isabellas Schoß. Sie malt sich die Szene in allen Einzelheiten aus, so dass sie sich fragt, ob sie es ertragen kann, die Augen zu öffnen und zu sehen, wo sie sich wirklich befindet. Dann aber dringt langsam der Lärm in ihre heimlichen Phantasien. Stimmen im Haus. Der Streit beginnt, zunächst bemerkt sie es kaum. Dann aber eskaliert die Situation, und nach wenigen Minuten wird Glas oder Geschirr zerschlagen. Jeder Knall wird von Katarinas teuflischen Schreien begleitet, daher weiß Isabella, dass Ernest Ziel der Anschuldigungen ist. Xavier regt sich, und Isabella springt aus dem Bett, um ihm über das Haar zu streichen.
Diesmal aber schläft er nicht wieder ein. Er setzt sich auf, und sein innerer Kampf zeichnet sich auf dem kleinen Gesicht ab. Ernest brüllt Katarina so laut an, dass man die Worte verstehen kann. »Hure! Höllenkatze!«
Xavier sucht Isabella mit den Augen und beginnt zu weinen.
»Sch«, sagt sie und streicht ihm wieder über den Kopf.
Xavier wirft sich in ihre Arme, und sie drückt seinen warmen Körper an
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