Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
wissen, dass du mit dem Herzen hier bist.«
Doch wo ist Isabellas Herz? Sie denkt kurz darüber nach und tadelt sich selbst, weil sie es vergessen hat. Es ist bei Daniel im Grab. Und während sie das denkt, zieht eine Wolke vor die Sonne, und einen abergläubischen Moment lang fragt sie sich, ob sie die plötzliche Kühle verursacht hat. Doch dann biegt der Wagen mit den Männern ab und rollt über eine kleine Anhöhe hinunter auf eine grasbewachsene Lichtung. Sie folgen und halten bald an. Sie befinden sich auf halber Höhe der Nordflanke des Berges. Er ist nicht sehr hoch, eher wie eine vulkanische Erhebung im flachen Küstenland. Die Lichtung liegt auf einem weiten Felsplateau. Es gibt keine Bäume, die ihnen die Sicht auf den Ozean versperren. Von hier oben sieht alles noch viel unermesslicher aus: die Brecher, lautlos und fern, scheinen sich langsamer und bedächtiger zu bewegen. Die Luft ist klar und kühl. Isabella hilft Xavier aus dem Wagen und kniet sich hin, um seine Jacke zuzuknöpfen. Katarina ist schon zu Ernest, Abel und Edwina gegangen. Sie rückt ihre Haube zurecht und führt Xavier zu den anderen.
»Soll ich das Picknick hier vorbereiten?«, fragt sie.
»Ja, das wäre famos«, sagt Abel Barrett und zieht die Nase hoch. Er hat einen kräftigen Kiefer, leuchtend blaue Augen und dichtes, lockiges Haar. Seine Frau Edwina ist weit weniger attraktiv – eine Pfauenhenne – und schaut ihn unverwandt an. Ihre Miene ist leicht verwundert, so als könne sie es nicht fassen, dass dieser unglaublich gutaussehende Mann tatsächlich ihr gehört.
Xavier bleibt bei Isabella, als sie die Picknickdecke ausbreitet und Teller, Tassen und Besteck darauf anordnet. Die anderen sind ein Stück weitergegangen, um die Aussicht zu bewundern. Abel erklärt, dass Lighthouse Bay so heißt, weil einer der ersten Entdecker sie aus ebendieser Position gesehen hat. Die Sonne fiel zuallererst auf die Landzunge, auf der jetzt der Leuchtturm steht. Isabella gefällt die Idee, dass Matthew jeden Morgen vor allen anderen von der Sonne begrüßt wird. Sie wirft einen Blick über die Schulter, sieht die weiße Nadel des Leuchtturms und fragt sich, was Matthew jetzt gerade tut.
Die Köchin hat Sandwiches und Obst vorbereitet und einen Apfelkuchen gebacken. Isabella breitet alles fein säuberlich aus. Ernest hat Whisky und Wein dabei, und Isabella sieht verwundert, wie schnell die Frauen trinken. Sie hat in ihrem Leben nur ein Glas Rotwein getrunken, und das Gefühl im Magen hat ihr gar nicht gefallen. Xavier hilft ihr, Servietten zu falten und Silber zu polieren. Die anderen werden schon ungestüm, trunken von der Verheißung, später betrunken zu werden.
Katarina ruft: »Xavier. Komm zu Mama, Kleiner.«
Er sieht entsetzt aus. Dann schaut er fragend zu Isabella.
»Nur zu. Tu, was deine Mama sagt.«
Xavier geht zögernd hinüber, und Isabella sieht aus dem Augenwinkel, wie er eine Fliege verscheucht. Katarina kauert sich mit ausgebreiteten Armen hin. Das hat Isabella noch nie gesehen. Xavier wohl auch nicht, denn er bleibt abrupt stehen. Isabella kann sein Gesicht nicht sehen, doch sie ahnt, dass er sich vor Katarinas plötzlichen Liebesbezeugungen fürchtet.
»Komm her, Liebling. Gibt mir einen dicken Kuss. Sei nicht schüchtern.« Dann schaut sie Edwina an und verdreht die Augen. »Er ist nicht sehr schlau, aber seine Mama liebt ihn trotzdem.«
Isabellas Magen verkrampft sich vor Zorn. Sie versteht jetzt, dass Katarina vor der anderen Frau angeben will. Edwina ist älter als sie und kinderlos. Katarina spielt die liebevolle Mutter, um ihr eins auszuwischen, vielleicht sogar grausam zu sein. Xavier zögert, und Isabella fürchtet schon, er werde zu ihr zurücklaufen, also steht sie auf und schiebt ihn sanft nach vorn. »Nur zu, Xavier.«
Er macht noch ein paar zögernde Schritte, dann schießt Katarina vor und umschlingt ihn mit ihren Rüschenärmeln. Isabella sieht, wie sich seine pummelige Hand um ihren Unterarm schließt, und der Stich der Eifersucht ist so tief und stählern, dass sie zurückweicht. Edwina gurrt Xavier an, während die Männer Whisky trinken und ihre Zigarren im Gras ausdrücken. Isabella bleibt außen vor. Sie gehört nicht hierher. Xavier gehört nicht hierher.
»Das Essen ist fertig«, verkündet sie, und einen Augenblick später reicht Katarina ihr das Kind zurück, sie soll ihn woanders hinbringen, damit er sie nicht stört, und ihm etwas zu essen geben. Isabella schiebt Xavier vor sich her und
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