Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
sie ist mit Arthur zu Hause, sitzt an einem kalten Februarabend am Kamin. Arthur liest Zeitung, Isabella arbeitet, sie hat den Stickrahmen auf ihrem gewölbten Bauch abgestützt. Ein ganz gewöhnlicher Abend. Alles ist verlässlich. Sie war gewiss nicht glücklich, aber auch nicht unglücklich. Der Alptraum sollte erst noch kommen. Noch hatte sie festen Boden unter den Füßen.
»Mary? Geht es dir gut?«
Isabella sieht Katarina durch den Flur kommen, die Hand fest um Xaviers Handgelenk geschlossen.
»Jaja«, sagt Isabella. »Ich erwarte ein Telegramm von meiner Schwester. Mr. Seaward hat mir nur mitgeteilt, dass sich die Übermittlung verzögert hat.«
Katarina schiebt ihr den Jungen hin. »Geh mit ihm an die frische Luft. Ich habe Kopfschmerzen davon bekommen, ihn zu unterhalten. Ich muss mich hinlegen.«
»Sollen wir im Garten Blätter sammeln?« Sie sehnt sich danach, ihn an sich zu drücken und sich von seinem kleinen, warmen Körper trösten zu lassen, aber erst, wenn Katarina weg ist.
Xavier nickt feierlich, und Isabella führt ihn mit unsicheren Schritten vom Haus weg, hinein in den seltsam warmen Winter, der so weit von der Heimat entfernt ist.
Der Einspänner rattert den Bergpfad hinauf. Xavier sitzt zwischen Isabella und Katarina. Vor ihnen fährt Ernest in einem weiteren Einspänner, zusammen mit seinem Freund und Geschäftspartner Abel Barrett und dessen Frau Edwina. Die Sonne scheint hell, und die fremden Gerüche des australischen Waldes umgeben sie. Isabella kennt inzwischen den scharfen medizinischen Duft von Eukalyptus und Teebaum, andere Gerüche kann sie nicht einordnen. Vögel zwitschern irgendwo fern des Weges. Es ist Sonntag, sie unternehmen ein Picknick. Der Korb mit dem Essen steht zwischen Isabellas Füßen. Die Köchin hat ihn heute Morgen gepackt und schien erleichtert, dass sie nicht mitkommen muss.
Katarina prahlt damit, sie könne gut reiten, sie habe in ihrer Jugend in Costa Daurada Preise gewonnen. Gewiss versteht sie sich gut auf Peitsche und Zügel. Sie trägt ein weißes Rüschenkleid und einen großen weißen Hut. Isabella trägt das gelbe Kleid, das sie aus dem Leuchtturm mitgebracht hat. Sie hat versucht, es an der Taille enger zu nähen, mit wenig Erfolg. Sie denkt an das blaue Musselinkleid, das in ihrem Koffer auf dem Meeresboden liegt, und erinnert sich dann daran, dass sie nicht mit Katarinas Schönheit Schritt halten muss. Sie drückt mehrfach Xaviers Hand. Dies ist kein Wettbewerb.
Sie sind seit einer Stunde unterwegs und immer noch auf den unteren Berghängen. Der Zigarrenrauch der Männer driftet nach hinten zu Isabella. Sie hört nur Gesprächsfetzen und findet Ernest und Abel ungemein langweilig. Gelegentlich lacht Abels Frau gackernd und bemüht sich, mit den plumpen Witzen mitzuhalten. Wann immer Edwina lacht, verkrampft sich Katarinas Kiefer, und Isabella fragt sich, ob sie lieber mit den Männern im Wagen sitzen würde statt bei dem Jungen und seinem Kindermädchen.
»Ist es noch weit?«
»Nein, der Weg ist bald zu Ende. Man kann nur zu Fuß auf den Berg steigen, und das werden wir heute nicht tun. An der nördlichen Seite gibt es eine kleine Lichtung, die sich für das Picknick eignet. Von dort aus kannst du den Ozean und die Berge sehen. Es ist sehr schön.«
Isabella ist begeistert, dass Katarina den Ort schön findet. Sie hatte vermutet, dass sie sich eher nach der vertrauten Landschaft der Heimat sehnt. »Ist es schöner als dort, wo Sie herkommen?«
Katarina schaut sie an und lächelt knapp. »In Spanien war ich nicht reich. Ich glaube, Geld macht manches schöner.« Sie schaut wieder auf den Weg. »Männer, beispielsweise.«
Isabella antwortet nicht. Sie staunt, dass Katarina so in Gegenwart ihres Sohnes spricht. Doch vermutlich unterschätzt sie den Jungen; vielleicht hat sie vergessen, dass er hören und verstehen kann, auch wenn er nicht spricht.
»Woher kommst du, Mary?«
»Aus Somerset, Ma‘am. Im Südwesten Englands.«
»Vermisst du es?«
»Manchmal.«
»Träumst du davon, dorthin zurückzukehren?«
»Ich gehe nie dorthin zurück.« Die Endgültigkeit ihrer eigenen Worte macht sie traurig. Wohin wird sie gehen? Lebt ihre Schwester überhaupt noch in New York? Sie könnte eine Straße weiter, aber auch auf einen anderen Kontinent gezogen sein.
»Gut.« Katarina lächelt, doch diesmal sieht es ein wenig grausam aus. »Alle anderen Kindermädchen haben gekündigt. Du musst also verzeihen, wenn ich vorsichtig bin. Es ist gut zu
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