Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
greift nach der kleinen Papiertüte, die die Köchin eigens für ihn vorbereitet hat. Dann gehen sie ins Gebüsch.
»Ich kann einen Bach hören.« Sie ergreift seine Hand, sobald die Eltern sie nicht mehr sehen können. »Sollen wir mal nachsehen, ob Fische darin sind?«
Xavier nickt, und sie gehen zusammen durchs Gebüsch. Sie zeigt ihm die Beeren, die man essen kann, und er fragt nicht, woher sie das weiß. Auch scheint er nicht sonderlich an ihnen interessiert zu sein, denn sie schmecken bei weitem nicht so süß wie die Banane, die die Köchin ihm eingepackt hat. Die beiden setzen sich auf einen großen Felsbrocken und lassen die nackten Füße in den flachen Bach baumeln. Sie horchen auf die Vögel und lassen sich die Schultern von der Sonne wärmen, während sie Sandwiches mit Honig essen.
Schließlich wagt sie sich vor. »Warum sprichst du nicht mit deiner Mama?«
Er schaut sie an, zuckt mit den Schultern und isst weiter.
»Hast du deine Mama lieb?«
Er antwortet nicht. Seine freie Hand kriecht hervor und umklammert die ihre. Isabella spürt, wie ihr das Herz bis in die Kehle schlägt. Sie ist diesem Kind so tief verbunden, zu tief. »Ich liebe dich, mein kleiner Junge.«
»Mary«, sagt er und spricht es wie seine Mutter aus, mit einem weichen, runden A. Es hört sich beinahe wie »Mami« an.
Sie öffnet den Mund, um ihm zu sagen, dass sie Isabella heißt, damit er weiß, wer sie wirklich ist, unterlässt es aber. Er ist zu jung, um das zu verstehen. Er isst weiter glücklich sein Sandwich, ohne zu merken, dass er ihr Herz zum Singen gebracht hat.
Nachdem sie gegessen haben, spielen sie am Rand des Baches und bleiben so weit wie möglich im Schatten. Hier ist es schlammig, aber den Schmutz kann man im kühlen Wasser abwaschen. Sie spielen mit Stöcken, die können sie hierlassen, wenn sie zu den anderen zurückkehren. Isabella versinkt völlig in dem Glück, mit Xavier zusammen zu sein, ihn zu lieben und von ihm geliebt zu werden. Als sie hören, dass Ernest sie ruft, waschen sie sich rasch Hände und Füße und kehren unwillig auf die Lichtung zurück.
Die anderen sind betrunken, ihre Gesichter von Alkohol und Sonne gerötet. Das Essen ist verschwunden, und Abel Barrett döst auf dem Rücken im Gras. Edwina ist kühn geworden durch den Wein, läuft auf Xavier zu und beginnt ihn zu streicheln. Katarina lässt ihr großzügig den Vortritt und sonnt sich in der Überlegenheit der Frau, die ein so schönes Kind hervorgebracht hat. Xavier beginnt zu weinen, und Edwina setzt ihn sofort wieder auf den Boden.
»Tut mir leid, Kleiner.«
Im Nu ist er zu Isabella gerannt und verbirgt sein Gesicht an ihrer Hüfte. Sie streichelt ihm über die Haare. Katarina kneift die Augen zusammen.
Ernest blickt auf. »Seht euch das an. Er behandelt Mary, wie ein anderer Junge seine Mutter behandeln würde.«
Da ist es. Isabella kann es hören. Den einen falschen Ton in einer wunderschönen Symphonie. Er wurde angeschlagen, und sein Echo wirft einen Schatten über sie alle. Katarina kommt auf sie zu, reißt Xavier von Isabella weg und sagt: »Mary, du kannst mit Ernest und Abel zurückfahren. Sie sind beide betrunken und brauchen eine nüchterne Begleitung. Edwina, du fährst mit Xavier und mir.«
Xavier weint noch immer, doch Katarina scheint ihn nicht zu hören. Isabella packt rasch die Reste des Picknicks zusammen, während Ernest Abel mit der Fußspitze anstößt, um ihn zu wecken. Isabella spricht sich selbst Mut zu. Katarina ist nicht an Xavier interessiert. Sie wird über diese Demütigung hinwegkommen. Wenn Isabella sich zurückhält, wird das alles schnell vergessen sein.
Ernest und Abel sind betrunken, und sie wird in ihrem Sitz zusammengequetscht, erstickt fast am Tabakrauch und ihren männlichen Ausdünstungen. Ernest sitzt neben ihr, hat ihr aber halb den Rücken zugewandt, und sie reden, als wäre sie gar nicht da. Abel beklagt sich über seine Frau, sie sei zu sanftmütig. Ernest beklagt sich über seine Frau, sie sei zu wild. Isabella würde sie am liebsten unterbrechen und fragen, wie viel Temperament eine Frau denn haben müsse, um sie glücklich zu machen, spürt aber, dass die Frage nicht erwünscht ist. Sie fahren zu schnell den Berg hinunter, und Isabella beißt die Zähne zusammen, damit sie nicht aufeinanderschlagen. Dem Gespräch entnimmt sie, dass Abel sein Vermögen nicht nur seinen Geschäften, sondern vor allem der Familie seiner Frau verdankt, und Ernest so hingerissen von Katarinas
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