Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
mit dem rötlich blonden Haar und den dunkelbraunen Augen frei gehalten, und er hatte von da an immer neben ihr gesessen. In der letzten Klasse waren sie schon wie ein altes Ehepaar. Andere Beziehungen kamen und gingen. Libby mit ihrem aufsehenerregenden Äußeren und der koketten Eitelkeit eines Teenagers verschliss einen Freund nach dem anderen, doch bei Juliet und Andy blieb alles gleich.
Gleich, aber nicht langweilig. Langweilig war es nie. Er besaß eine einzigartige Intelligenz. Sah Dinge aus einem interessanten Blickwinkel. Mit ihm konnte sie stundenlang über alles reden: die Natur, die Gesellschaft, Geschichte, Philosophie, Kochen, Malerei, egal was. Er konnte zu allem etwas sagen. Und gerade wenn sie glaubte, sie sei nicht interessant oder klug genug für ihn, lachte er über einen ihrer Witze, und sie begriff, dass es mit Andy immer leicht sein würde. Er liebte sie mühelos und war mühelos zu lieben.
Einmal hatten sie Angst gehabt, sie könnte schwanger sein. Es war ein falscher Alarm, aber sie waren ins Grübeln gekommen. Warum warten? Sie wussten, dass sie zusammenbleiben, eine Familie und eine gemeinsame Zukunft wollten. Dad hatte ihnen seinen Segen gegeben, er vergötterte Andy. Eine Hochzeit am Strand in einem schlichten, hübschen Kleid, danach ein gemeinsames Leben mit schlichten und abenteuerlichen Momenten. Seelengefährten.
Die Idee mit der Party am Vorabend stammte von Libby. Juliet hatte keine Lust auf einen Junggesellinnenabschied gehabt, so wie sich auch Andy nicht sonderlich für Männerabende in der Kneipe interessierte. Libby hatte ein paar alte Schulfreunde in den Surfclub eingeladen. Juliet wollte bei ihrer eigenen Hochzeit keinen Kater haben, außerdem trank sie nie besonders viel. Andy leistete ihr Gesellschaft und blieb ebenfalls nüchtern. Alle anderen aber tranken zu viel, so wie es bei jungen Erwachsenen üblich war.
Libby trank am meisten. Juliet hatte sie schon öfter wild erlebt, aber an diesem Abend war es anders. Sie trug ein enges, blaues Kleid, ihren üblichen knallroten Lippenstift und hatte das dunkle Haar hochgesteckt. Alle Männer im Surfclub schauten sie an. Doch es war nicht nur ihr Aussehen, das Aufmerksamkeit erregte. Sie lachte laut, flirtete mit jedem und suchte ständig Augenkontakt. Juliet fragte sich, ob Libby eifersüchtig auf ihre Hochzeit war; immerhin war sie es gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen. Vielleicht aber war sie auch nur aufgeregt und glücklich.
Es war definitiv Libbys Idee, nackt schwimmen zu gehen. Es gab gemurmelte Zustimmung, aber eigentlich war es nicht ernst gemeint. Sie gingen an den Strand, lachten und redeten und spritzten mit Wasser, doch niemand wollte wirklich schwimmen.
Bis jemand Libby herausforderte. Es war einer der Jungs, der vermutlich von ihrem provokanten Verhalten angestachelt worden war.
»Und ob ich mich traue«, rief Libby. »Warte nur ab!«
Es ging eine Weile so weiter, bis Juliet müde wurde. Sie drückte Andys Hand und lehnte sich an seine warme Schulter. Der Aprilwind strich sanft über ihre Haut. »Zeit fürs Bett.«
»Und wenn wir aufwachen, ist es morgen.«
Sie drehte ihr Gesicht, um ihn zu küssen, und sein warmer Mund legte sich über ihren. Ein plötzliches Kreischen unterbrach sie. Hundert Meter weiter schlängelte sich Libby gerade aus ihrem blauen Kleid. Die anderen lachten und grölten. Juliet und Andy traten zurück.
»Sie ist verrückt geworden.«
»Sie sollte nicht so ins Wasser gehen. Sie ist zu betrunken.«
Juliet verspürte ein erstes Unbehagen.
Libby watete ins Wasser, nur mit Slip und schwarzem BH bekleidet. Dann tauchte sie unter und kam wieder hoch, das Haar nass und glatt, das Make-up lief ihr übers Gesicht, und sie konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen.
»Na, kommt schon! Das Wasser ist toll.«
Sie tauchte wieder unter.
Die Zeit dehnte sich wie Gummi. Juliet atmete schwer.
»Wo ist sie?«, fragte Andy.
Ein weißer Arm schoss hoch, weit entfernt von der Stelle, an der Libby verschwunden war. Panische Schreie am Ufer. Andy rannte zum Wasser – er war als Einziger nüchtern und stark genug, um sie zu retten –, zog sich das Hemd aus und sprang hinein.
Und kam nie wieder heraus.
Juliet hörte das Schweigen, das ihrer Erzählung folgte. Es dauerte lange, und sie konnte Damien nicht in die Augen schauen. Sie fühlte sich auf unerklärliche Weise verlegen. Weil sie zu lange geredet hatte, weil es ihr die Kehle zuschnürte, weil sie nach zwanzig Jahren nicht vergeben und
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