Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
Pool des Fitnesscenters geübt, der nur einen Häuserblock von ihrem Pariser Büro entfernt lag. Mark hätte gesagt, stell dich nicht so an. Er hätte gesagt, spring einfach rein.
Doch Mark hatte nicht alles über sie gewusst.
Sie steckte sich den Atemregler in den Mund, nahm allen Mut zusammen und ließ sich ins Wasser fallen.
Alan bedeutete ihr, ihm zu folgen, doch sie musste sich erst daran gewöhnen, durch den Regler zu atmen. Zuerst fühlte sich ihre Brust eng an, doch bald hatte sie den Dreh heraus und schwamm in die blaue Tiefe hinunter. Sanftes Licht drang herunter und überzog alles mit einem rauchigen Schleier. Sie konnte das Wrack schon sehen, auch wenn es kaum noch als Schiff zu erkennen war. Es wirkte künstlich und organisch zugleich, sorgfältig von Menschenhand erbaut und doch überwuchert von verrückten, wolligen Meeresgeschöpfen. Die warmen Farben des Spektrums verschwanden, je tiefer sie schwammen, bis alles nur noch rauchblau war. Staunend schaute Libby sich um. Rochen, Schildkröten und Schwärme silbriger Fische. Sie fühlte sich frei und leicht und lebendig und war wahnsinnig froh, dass sie mitgekommen war. Mark wäre begeistert gewesen. Er wäre stolz gewesen, weil sie ihre Angst überwunden hatte und hinabgetaucht war. Alan deutete zum Wrack und gab ihr ein Zeichen. Sie schwamm auf die Aurora zu.
Voller Staunen betrachtete Libby das Wrack, dieses geheimnisvolle Schiff, das sie seit Wochen gezeichnet und gemalt hatte. Es war, als wäre ein mythisches Wesen vor ihren Augen zum Leben erwacht. Nachdem sie es nur in ihrer Vorstellung gesehen hatte, wirkte die tatsächliche Gegenwart elektrisierend. Es lag in zwei Teilen auf dem Meeresboden, in unmöglichen Winkeln geneigt, umgeben von Steinen und Algen. Nur ein Teil des Hauptmastes stand noch und ragte wie ein gezackter Zahn aus dem Deck. Sie vergewisserte sich, dass Alan in der Nähe war, und schwamm dann um das Wrack herum durchs warme blaue Wasser. Ein großer Rochen zog schattenhaft unter ihr dahin, glitt über die Reling und in die dunkle Tiefe darunter. Libby entdeckte eine Luke und schwamm darauf zu.
Genau darüber hielt sie an, trat Wasser und schaute hinein. Es war dunkel, doch an ihrer Weste war eine Taschenlampe befestigt. Der Strahl fiel in die Luke, die von Algen und Rankenfüßern überwachsen war. Sie sah einige Stufen, Trümmer auf dem Boden. Eine Porzellanscherbe. Langsam wagte sie sich vor.
Es war eng, sie wollte auf der Stelle kehrtmachen. Das war gar nicht so einfach, doch es gelang ihr. Dann plötzlich war sie von winzigen Bläschen umgeben, die vor ihrem Gesicht tanzten. War das normal? Sie tauchte aus der Luke auf und wurde von einer warmen Strömung durchgerüttelt. Sie stieß mit dem rechten Ellbogen hart gegen den Rand der Luke und streckte instinktiv die Hände aus. Zu spät fiel ihr ein, dass Graeme sie gewarnt hatte, nichts mit bloßen Händen zu berühren. Sie spürte kaum, wie die scharfe Kante des Rankenfüßers in ihre Hand schnitt, sah aber das Blut im Wasser. Es wolkte um sie herum wie grüner Rauch.
Libby schaute sich nach Alan um, konnte ihn aber nicht sehen. Sie war allein.
Sie drückte die Hand gegen den Oberschenkel, um die Blutung zu stoppen, und schwamm aus der Luke hinaus. Sie versuchte, das Glücksgefühl wieder zu erwecken, das sie vorhin empfunden hatte. Vergeblich. Sie hatte die Orientierung verloren und konnte nicht erkennen, aus welcher Richtung sie gekommen war. Weder Alan noch das andere Paar waren zu sehen. Sie hatte auch keine Ahnung, wo sich das Boot befand. Und es wurde nur noch schlimmer durch den Schleier aus Blasen, die vor ihren Augen aufstiegen.
Sie beschloss, nach oben zu schwimmen.
Da plötzlich versiegte der Luftstrom.
Gerade noch hatte sie geatmet, jetzt ging es nicht mehr.
Kalte Panik schoss durch ihren Körper. Nicht nur wegen der Lage, in der sie sich jetzt befand, sondern auch, weil eine furchtbar dunkle Erinnerung in ihr aufstieg wie ein Alptraum aus Kindertagen, den ihr Gehirn irgendwo gespeichert hatte. Ich bin unter Wasser und kann nicht atmen.
Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Ihr fiel ein, dass sie einen zweiten Atemregler irgendwo an der Weste hatte. Sie tastete herum, doch ihre Hände waren ganz taub. Sterne tanzten am Rand ihres Blickfelds.
Das Gewicht ihres Körpers.
Das Blei in ihren Lungen.
Sie reckte hilfesuchend die Arme.
Dann ging in ihrem Gehirn das Licht aus.
Plötzlich riss ihr jemand den Regler aus dem Mund und ersetzte ihn durch einen
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