Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Haus am Nonnengraben

Titel: Das Haus am Nonnengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
Vom Netzwerk:
seit wann Anschluss von Frau R. nicht mehr funktioniert.«
    Dann ging er ins Wohnzimmer. Auch ihm fiel die Diskrepanz zwischen der einstigen noch fühlbaren Schönheit dieses Raums und seinem jetzigen Zustand auf. Er wagte es nicht, die Fenster zu öffnen, aber hier war der Gestank nicht ganz so unerträglich. Das einzige wirklich interessante Möbelstück schien der Sekretär zu sein, Kirschbaum mit Einlegearbeiten, mit einer ausgeklappten, lederbezogenen Platte und vielen Schubladen. Benno öffnete einige, nahm ein paar Papiere heraus, legte sie wieder zurück und notierte: »Veranlassen, dass der gesamte Inhalt des Schreibtischs mir zur Durchsicht gebracht wird. Schubladenweise sortiert!«
    Im Schlafzimmer war das Bett ungemacht, die Bettwäsche grau und fadenscheinig. Auf einem Stuhl lag ein formloser Haufen dunkler Kleidung, daneben ein Paar ausgetretene braune Schuhe. Vom Schlafzimmer führte eine Tür in ein Ankleidezimmer, Kleiderschränke rechts und links bis zur Decke, an der Stirnwand ein riesiger Spiegel. Die Schränke waren vollgestopft mit Kleidern: Abendkleider, Cocktailkleider, Kostüme, Seidenblusen, strassbestickte Jäckchen, Pelze, viele davon in weißen Leinensäcken. Ein ganzes Schrankabteil voller Damenschuhe, auf schrägen Regalen, farblich sortiert, etwa fünfzig Paar. Schubladen voll Unterwäsche, Strümpfe, Schals. Im gegenüberliegenden Schrank war ein Tresor eingebaut. Der Schlüssel steckte. Auf speziell geformten Tabletts lagen Ketten, Colliers und Armbänder, Ringe, Broschen, Ohrringe: Brillanten, Perlen und viele blaue Steine, Saphire und Aquamarine.
    Ein Raubmord war es also nicht gewesen, es sei denn, der Mörder wäre gestört worden und dann nicht wiedergekommen, was angesichts des leeren Hauses und der aufgebrochenen Haustür unwahrscheinlich war.
    Männerkleidung fand sich keine. »Kleider und Schmuck beurteilen lassen, Alter, Wert usw.«, schrieb Benno auf. Auf dem Gang traf er mit Werner zusammen, der die übrigen Räume angesehen hatte. Er erzählte ihm von den eigenartigen Kleiderschränken und fragte: »Und bei dir?«
    »Auf den ersten Blick nichts Auffälliges. Manche Zimmer scheinen ewig nicht benutzt worden zu sein. Schauen wir uns mal unten um.«
    Auch die Räume links von dem Gang hinter der Halle boten nichts Spektakuläres: ehemalige Wirtschaftsräume, Regale mit leeren Einmachgläsern, eine alte Wäschemangel, eine Toilette, die allerdings auffallend sauber aussah. Umso größer war ihre Verblüffung, als sie die letzte Tür auf der rechten Seite öffneten und die ehemalige Küche entdeckten, diesen Raum voll bunter Tücher.
    »Was ist denn das?«, fragte Benno ungläubig.
    »Oh, oh«, sagte Werner, »das war aber wohl nicht die Alte vom Küchentisch!«
    »Ich fasse es nicht.« Benno inspizierte alles gründlich – das Bett aus zwei übereinandergelegten Matratzen, bedeckt mit einer bunten Wolldecke, daneben ein Schrank, in dem nur leere Kleiderbügel hingen, den Tisch bei der Eckbank, auf dem ein Glas stand, den großen Stuhl zwischen den beiden Fenstern, den Herd und die beiden überdimensionalen Spülbecken auf der anderen Seite. In einem stand eine kleine Wasserlache, die noch nicht eingetrocknet war.
    »Hier hat sich bis vor Kurzem jemand aufgehalten«, stellte er fest.
    »Bis heute«, sagte Werner und hielt ihm einen schmalen Papierstreifen hin, den er aus dem Abfalleimer gefischt hatte. Es war ein Fahrschein für den Bamberger Stadtbus, und der Stempel zeigte klar und deutlich das heutige Datum, den 3. September.
    »Das ist doch komisch«, murmelte Benno. »Davon hat Frau Tal gar nichts erzählt.«
    »Na, vielleicht hat Frau Dr. Tal es ja nicht gesehen?« Werner sprach »Frau Dr. Tal« mit besonderer Betonung aus und sah Benno mit hochgezogenen Brauen an.
    »Du kannst mich mal«, sagte Benno. »Und es ist trotzdem seltsam.«
    Aus der Eingangshalle waren jetzt Geräusche zu hören, die verkündeten, dass die Leute von der Spurensicherung gekommen waren. Werner ging nach vorn, um sich mit ihnen zu besprechen. Benno sah sich im Garten um, aber ihm fiel nichts Verdächtiges auf.
    In der Halle traf er auf den Gerichtsarzt Dr. Last, der sich gerade die Handschuhe auszog. »Und, können Sie uns schon etwas über die Todesursache sagen?«
    »Bei dem Zustand der Leiche?«, fragte Dr. Last sarkastisch. »Erwarten Sie Wunder?«
    »Nein, nur einen kleinen Hinweis, ob es sich um einen natürlichen Tod handelt.«
    »Nun ja, die Haltung des Kopfes könnte ein Indiz für

Weitere Kostenlose Bücher