Das Haus am Nonnengraben
nach.«
»Gut«, sagte Benno. »Ich schau mir das sowieso lieber erst mit dir alleine an.«
Werner war Leiter des K1, des Kommissariats, das in Bamberg für die »höchstpersönlichen Rechtsgüter« zuständig war, also für Tötung, Brand, Sitte und so weiter. Vor seiner kürzlich erfolgten Beförderung hatte er im Rauschgiftdezernat gearbeitet und einen wichtigen Fall, den er am besten kannte, in seine neue Stellung mitgenommen. »Mann, ich hoffe bloß, dass das hier kein Mord war«, jammerte er. »Wir sind in der Abschlussphase mit den russischen Rauschgiftdealern. Wir müssen sie jetzt rund um die Uhr beschatten. Ich kann keinen Mann entbehren. Und schon gar keine weitere Sonderkommission bilden.«
»Jetzt wart’s doch erst mal ab. Vielleicht war es ja ein simpler Herzinfarkt, und der liebe Sohn in Hamburg hat sich halt seit Wochen nicht um Mami gekümmert.«
»Ach, der Sohn wohnt in Hamburg?«
»Oder in Frankfurt oder Wanne-Eickel, was weiß denn ich!«
»Aber einen Sohn hat sie?«
»Du nervst. Ich weiß überhaupt nichts über die Frau. Noch nicht einmal sicher, wer sie ist. Nur dass sie tot ist und das schon seit Längerem.«
»Das kann ja heiter werden. Und ich hab vorhin drei Weißwürste gegessen!«
Die Haustür wirkte verschlossen, öffnete sich aber, als Benno dagegen drückte. Er sah sich das Türschloss an. Der Schnapper funktionierte nicht mehr; er war möglicherweise gewaltsam beschädigt worden. »Schloss überprüfen lassen. Art der Beschädigung feststellen«, schrieb Benno auf seinen Notizblock.
In der Halle waren im Staub so etwas wie Spuren sichtbar, klarer noch auf den Treppenstufen. »Frau Dr. Tal sagte, die Leiche liege … nein, sitze in der Küche im ersten Stock.«
»Frau Dr. Tal? Hanna Tal? Ist das nicht die rothaarige Schönheit von Katjas Party, wegen der du letzthin so aus dem Häuschen warst?«
»Rothaarige Schönheit!« Benno verzieh Werner umgehend den »Feger« und brummte zustimmend.
»Oh, oh!«, machte Werner nur, und Benno wusste genau, was er damit sagen wollte: Das kann Schwierigkeiten geben.
Sie gingen die Treppe hinauf, vorsichtig an der Seite, um möglichst wenig Spuren zu verwischen. Werner gab seinem Freund ein paar Einmalhandschuhe. Benno fand das immer etwas lächerlich, aber Herr Dotterweich von der Spurensicherung konnte sehr ungehalten werden. Der widerliche Geruch nach Tod wurde mit jeder Stufe stärker und stürzte sich auf sie, als sie die Küchentür öffneten. Benno hatte schon etliche Leichen gesehen, aber das hier strapazierte auch seinen Magen heftig.
Werner sah sich die Leiche scheinbar ungerührt an. »Oh, oh!«, sagte er wieder – das war wohl momentan sein Lieblingsspruch –, »das sieht aber wirklich nicht gut aus. Ich glaube, den Herzinfarkt können wir leider vergessen. Das sieht verdammt nach einem gewaltsamen Tod aus.«
Er machte mit seiner kleinen Kamera einige Fotos des Ganzen, dann stürzte er ans Fenster und öffnete es. »Und wenn sich Dotterweich auf den Kopf stellt, so kann man nicht arbeiten, das zerbröselt einem ja das Gehirn.« Er sah sich um. »Ob das wohl die Tatwaffe war?« Er deutete auf einen Schal, der unter dem Stuhl der Toten lag.
»Schau mal, da auf dem Tisch, das ist ein vertrockneter Wiesenblumenstrauß«, bemerkte Benno.
»Was für ein pietätvoller Mörder. Ein Wunder, dass er nicht noch ein Kreuz und eine Kerze hingestellt hat!«
»Wieso denkst du, dass es ein Mann war?«
»Ich habe das ganz geschlechtsneutral gemeint.« Werner ignorierte Bennos spöttisches Grinsen. »Außerdem sind Mörderinnen so selten. Ich hatte in meiner ganzen Laufbahn noch keine.«
»Aber Wiesenblumen, ich weiß nicht. Das passt nicht. Ein gekaufter Strauß vielleicht, als offizielles Mitbringsel. Aber geht jemand auf eine Wiese und pflückt Blumen für einen Menschen, den er umbringen will?«
»Vielleicht hat er – oder sie – es ja nicht geplant, sondern im Affekt getan?« Werner begann, die Küche zu inspizieren, öffnete geräuschvoll Türen und Schubladen.
Benno störte dieser alltäglich-banale Krach neben der Toten. Er ging hinaus in den Flur. Das schwarze Telefon an der Wand fiel ihm sofort auf, weil der Hörer nicht auf der Gabel lag, sondern an der Schnur herunterhing. Er nahm den Hörer, drückte mehrmals auf die Gabel, drehte die Wählscheibe, das Telefon war tot. Er untersuchte die Zuleitung und stellte fest, dass der Stecker in der Dose steckte und die Leitung intakt war. Er notierte: »Feststellen lassen,
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