Das Haus am Nonnengraben
im vorliegenden Fall kann ich eigentlich nur nach der ›Fliegenuhr‹ gehen. Das bedeutet: Fliegen krabbeln in sämtliche vorhandenen Körperöffnungen und legen dort ihre Eier ab. Die Larven schlüpfen, beginnen zu fressen und wachsen. Und je nach Länge der Maden – in einer Woche verzehnfachen sie ihre Größe – beziehungsweise nach der Zahl der neuen Fliegengenerationen kann man in etwa die verflossene Zeit errechnen. Aber natürlich nicht auf den Tag exakt.«
»Danke, so genau wollte ich es gar nicht wissen.« Benno verabschiedete sich verdrossen. Diese ungefähre Angabe des Todeszeitpunkts machte ihnen die Ermittlung von Alibis praktisch unmöglich, was das Aufspüren des Täters erheblich erschwerte.
Als er zurück in sein Büro kam, lag auf seinem Schreibtisch auch der abschließende Bericht der Spurensicherung. Im Haus hatte man Fingerabdrücke von wahrscheinlich vier Personen gefunden, aber das Ergebnis war wegen des vielen Staubs mit Unsicherheitsfaktoren behaftet. Die Spuren am Boden zeigten die Anwesenheit von zwei Personen in der ehemaligen Küche im Erdgeschoss in jüngster Zeit und Radspuren, wahrscheinlich von einem Kinderwagen. Beide Personen waren in den ersten Stock gegangen und dort herumgelaufen. Der Blumenstrauß auf dem Tisch war ebenfalls vor etwa drei Wochen gepflückt worden. Im Gang lag frisch Erbrochenes, das auf ein Frühstück mit Tee und Honigbrot schließen ließ. Das Fenster daneben war geöffnet worden von jemandem, dessen Fingerabdrücke auch auf verschiedenen Türklinken und auf dem toten Telefon auftauchten. Es war wenig dabei, was Benno nicht bereits wusste. Die Polizei hatte außerdem ermittelt, dass das Telefon von Elfi Rothammer seit einiger Zeit defekt war. Der Apparat hatte ausgetauscht werden sollen, aber der Mann von der Telekom war mehrfach unverrichteter Dinge wieder abgezogen; man war dabei, das zu überprüfen. Nach einigem Hin- und Herverbinden erwischte Benno auch die Beamtin, die sich das Ankleidezimmer vorgenommen hatte. Sie hatte noch keine Zeit gehabt, sich die Sachen im Einzelnen anzusehen, aber nach dem ersten Überblick bestätigte sie, dass Schmuck und Kleider wertvoll, aber Jahrzehnte alt waren.
Um zwei Uhr war Benno in Böschens Büro. Die Sekretärin sah ihn an und lachte. »Sie heißen ja fast genauso wie der ›Bulle von Tölz‹!«
»Wie wer?«, fragte Benno verwirrt. Er hielt nichts von Fernsehkrimis.
»Das ist so eine TV-Serie. Mit einem ganz dicken Kommissar, dem ›Bullen von Tölz‹ eben. Ganz witzig, aber mir ist er zu dick. Und der heißt Benno Berghammer.«
»Naa, Hammer hammer net«, sagte Benno.
Jetzt schaute die Sekretärin konsterniert. »Ich melde Sie dann mal bei Herrn Böschen an.«
Der Rechtsanwalt legte sein rundes rotes Gesicht in freundliche Falten, kam ihm jovial durch das große Zimmer entgegen und schüttelte ihm anhaltend die Hand. »Wie schön, dass Sie mich einmal besuchen, Herr Staatsanwalt«, rief er fröhlich. »Bitte nehmen Sie doch Platz. Möchten Sie einen Kaffee?« Ohne Bennos Zustimmung abzuwarten, öffnete er die Tür, rief seiner Sekretärin zu:
»Zwei Kaffee!« und kam händereibend zu Benno zurück. »Wie ging denn am Sonntag Ihr Tennismatch zu Ende? Sie spielen ja immer eine Stunde länger als ich.«
»Verloren«, sagte Benno kühl.
»Na, Kopf hoch, beim nächsten Mal sind dann Sie der Sieger.«
Benno ärgerte sich über die anbiedernde Art des Zuspruchs. Gleich wirst du etwas des Trostes bedürfen, mein schmieriger Freund, dachte er. Er setzte sich und schaute sich in Böschens mit schweren Möbeln teuer eingerichtetem Büro um.
»Was verschafft mir denn die Ehre Ihres Besuchs?«, fragte Böschen und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz.
»Ich komme wegen Elfi Rothammer.«
»Ach ja, die arme Elfi. Ich habe es heute früh in der Zeitung gelesen. Elfi R. im Haus am Nonnengraben, das konnte ja nur sie sein. Ist sie denn wirklich ermordet worden?«
»Die Ermittlungen laufen noch. Sie werden verstehen, dass ich noch nichts darüber sagen kann. Sie haben Frau Rothammer gekannt?«
»Ja. Und ob! Sie war die schönste Frau, die mir je begegnet ist. Diese Haare, diese Figur, dieser Gang! Wir waren alle ganz verrückt nach ihr, damals.« Er rieb sich die Nase und schaute auf, als sich die Tür öffnete. Seine Sekretärin brachte ein Tablett mit zwei Tassen Kaffee und einem Tellerchen, auf dem einige Kekse lagen.
Benno pustete über seine Tasse und fragte: »Woher kannten Sie Frau Rothammer?«
»Na,
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