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Das Haus am Nonnengraben

Titel: Das Haus am Nonnengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
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Vorfreude auf meine Behandlung umso größer. Wir wollen mal die Dame hier dazwischenschieben.« Sein anerkennendes Grinsen wurde breiter, als er Hanna in das Behandlungszimmer führte. Er deutete auf den Zahnarztstuhl.
    »Machen Sie sich’s bequem. Ich muss mir nur noch schnell etwas überziehen.« Die Art, wie er die Latexhandschuhe anzog, hatte etwas von einem umgekehrten Striptease. Hanna schluckte und konzentrierte sich auf den Schwenkarm des Bohrers. Doch das nützte nicht viel. Die zufälligen oder vielleicht auch nicht so zufälligen Kontakte von Joschis Händen mit ihrer Haut während der Untersuchung spürte sie am ganzen Körper.
    »Nein, es ist nichts«, sagte er und streifte die Handschuhe ab. »Ein kleiner Bluterguss, der durch den Druck etwas schmerzhaft wirkt, aber das geht von selbst vorbei. Ansonsten sind Ihre Zähne top in Ordnung. Schade, ich hätte sie gern wiedergesehen. Ihre Zähne natürlich.«
    »Na ja, also …« Hanna fiel es schwer, einen Einstieg in ihre wunderbare Lügengeschichte zu finden. »Eigentlich war diese Beule eher so etwas wie ein Vorwand.«
    Joschi zog erstaunt und geschmeichelt die Augenbrauen hoch.
    »So? Hat eine Freundin mich empfohlen?«
    Noch amüsierte sich Hanna über so viel unverschämtes Selbstbewusstsein. »Keine Dame, sondern das Schicksal gewissermaßen. Ich habe Sie blind aus dem Münchner Telefonbuch herausgetippt. Ich bin Journalistin, wissen Sie, und habe den Auftrag für einen Bericht über die Veränderung im Freizeitverhalten von Zahnärzten nach der Gesundheitsreform. Ich komme aus einer kleineren Stadt, und da kenne ich einige Zahnärzte, aber hier in München kenne ich keinen, und irgendwo musste ich ja anfangen.«
    Joschi sah Hanna nachdenklich an.
    Ihr wurde ganz mulmig. Sie sprach über ihre Verlegenheit hinweg: »Ob ich Sie vielleicht einmal zu einem Kaffee einladen dürfte, in Ihrer Freizeit natürlich«, sie versuchte, sein freches Grinsen zu imitieren, »dann könnten wir uns darüber unterhalten. Und vielleicht würden Sie mir auch ein paar Namen von anderen Zahnärzten nennen, die ich interviewen kann.« Er sollte schließlich nicht merken, dass sie es nur auf ihn abgesehen hatte.
    »Unterhaltung in der Freizeit – hm, darüber habe ich gerade nachgedacht«, sagte er. »Nein, kein Kaffee, sondern Champagner und Wachtelbrüstchen. Zufällig habe ich heute Abend ein kleines Essen für Freunde arrangiert, beide Zahnärzte. Meine Partnerin hat mir vor zwei Stunden abgesagt. Hätten Sie Lust, sie heute Abend zu vertreten? Da können wir in aller Ruhe über das Freizeitverhalten von Zahnärzten reden.«
    Hanna zögerte. »Heute Abend?«
    »Haben Sie schon etwas vor?«
    »Nein, das nicht, aber …«
    »Na bitte, dann tun Sie mir doch den Gefallen.«
    Hannas Neugier und ihr Ehrgeiz siegten. Das war die Gelegenheit. »Also gut, vielen Dank für die Einladung. Und wo soll das fabelhafte Diner stattfinden?«
    »Bei mir zu Hause natürlich. Es ist schon alles bestellt.«
    »Bei Ihnen zu Hause?«
    »Was ist, schöne Dame? Sie werden sich doch nicht vor dem Zahnarzt fürchten? Das lernen doch heute schon die Kindergartenkinder: Er bohrt, und es tut gar nicht weh.«
    Hanna lachte, obwohl sie sich überrumpelt fühlte. Joschi nannte ihr die Adresse und überreichte ihr gleichzeitig mit einer leicht übertriebenen Verbeugung seine Visitenkarte.
    »Ich erwarte Euch heute Abend um acht, meine Schönste«, sagte er mit altmodischem Schmelz in der Stimme.
    Hanna lächelte huldvoll und versuchte einen leidlich würdigen Abgang. »Bis dann«, hauchte sie und fächelte sich mit der Visitenkarte Luft zu.
    Im Aufzug schaute sie sich streng im Spiegel an. »Hast du einen Knall, Hanna Tal?«, fragte Anna diabolica sarkastisch. »Seine Absichten sind absolut eindeutig!« – »Und ich bin absolut gut in der Verteidigung.« – »Dir werden doch schon die Knie weich, wenn er dich nur ansieht.« – »Wie hätte ich die Einladung denn ablehnen sollen?« – »Du gehst allein zu einem Mann, der ein Mörder sein könnte!« – »Ach, ich glaube nicht, dass er …« – »Aha, so plötzlich. Er ist ja so attraktiv, nicht wahr?« – »Ich traue ihm einen Mord einfach nicht zu.« – »Und er hat auch so schöne grüne Augen!«
    Aber wie sollte sie denn sonst rauskriegen, was er über seine Tante wusste? Hatte er nicht mitbekommen, dass sie gestorben war? Und wann hatte er sie das letzte Mal gesehen? Sie hätte doch eigentlich auf der Beerdigung seiner Mutter gewesen sein

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