Das Haus am Nonnengraben
Adresse an Staatsanwalt Berg. Danke!« Sie fühlte sich sicherer, wenn jemand wusste, wo sie den Abend verbrachte, aber sie legte vorsichtshalber auf, bevor Tante Kunigunde zu Fragen ansetzen konnte.
Bei Kürtchen meldete sich leider niemand. Dann musste es eben so gehen. Eigentlich hätte sie sich ja auch bei Benno Berg melden müssen. Er hatte gesagt, sie solle sich zur Verfügung halten. Doch der Kerl konnte ihr gestohlen bleiben, und außerdem hatte sie nicht die geringste Lust auf Erklärungen, bevor sie mehr wusste. Und ihr Kleingeld war auch alle.
In Hochstimmung kehrte sie in ihre Pension zurück und machte sich sorgfältig zurecht, bevor sie aufbrach. Das neue Kleid und die Aussicht auf Champagner und Wachtelbrüstchen sowie die Befriedigung ihrer Neugier beflügelten sie. Und der Schatten von Angst im Hintergrund erhöhte den Reiz der Situation nur.
Sie hatte die Haiderstraße auf dem Stadtplan herausgesucht, und mit ihrem guten Ortssinn fand sie sie fast auf Anhieb. Sie lag in einem der unendlichen Vororte von München, ehemaligen Bauerndörfern, die jetzt ihre Herkunft verleugneten und Stadt spielten. Auch Joschi Schneiders Haus hatte ein neues Outfit bekommen. Die beiden Säulen vor dem Eingang stammten wohl noch von dem Bauplan, den Karla entworfen hatte; sie erinnerten an eine Bauherrin, die sich von der Geschichte von Scarlett O’Hara zu Tränen hatte rühren lassen. Jetzt waren die Säulen grau und lila gestrichen, ebenso wie der Türrahmen. Das große tief gezogene Dach und die riesige Kletterrose wirkten fehl am Platz neben der silbern glitzernden Doppelgarage mit den lilafarbenen Toren. Eines davon stand offen und gab den Blick auf einen Porsche frei. Die Alarmanlage und das stählerne Grundstückstor zeigten die Unnahbarkeit der schönen neuen Welt.
Hanna parkte ihren kleinen Golf direkt vor dem Grundstück. Joschi erwartete sie oben an der Freitreppe. Er kam ihr in einem edlen hellen Leinenanzug und einem schwarzen T-Shirt drei Stufen entgegen und begrüßte sie mit einem Handkuss.
»Sie sehen bezaubernd aus, gnä’ Frau!«, sagte er mit übertriebenem Wiener Akzent. »Wie schön, dass Sie meine bescheidene Hütte mit Ihrer Anwesenheit beglücken!«
»Ein beeindruckendes Haus!«, sagte Hanna anerkennend.
»Finden Sie?«
»Haben Sie es gebaut?«
»Nein, es war das Haus meiner Eltern.« Er verwandelte seine wegwerfende Handbewegung in eine Einladung. »Kommen Sie doch herein.« Im Windfang nahm er Hanna ganz langsam das Umhängetuch ab und hängte es an die Garderobe.
In der Geste lag so viel Erotik, dass Hanna sich räusperte und fragte: »Sind die anderen Gäste schon da?« Sein Aftershave gefiel ihr nicht.
Joschi grinste ein bisschen und hielt ihr die Tür auf. »Nein, noch nicht. Gisela kommt immer zu spät. Für eine Frau sind Sie ungewöhnlich pünktlich.«
Bevor Hanna eine entsprechende spöttische Erwiderung einfiel, wandte Joschi sich ab und ging ihr voraus in eine Halle mit einer breiten Treppe. Er führte sie zunächst ins Wohnzimmer, dessen Wände fast bis zur Decke mit Bücherregalen bedeckt waren. Durch eine große offene Flügeltür fiel der Blick in das Speisezimmer. Der Tisch war für vier Personen gedeckt, auf dem Sideboard wartete ein kaltes Büfett, bei dessen Anblick Hanna das Wasser im Mund zusammenlief: Lachs und Aal, Shrimpscocktail und Geflügelsalat, Parmaschinken und Wachtelbrüstchen in Aspik.
»Darf ich Ihnen einen Aperitif anbieten?«, fragte Joschi. »Einen Kir royal? Auch wenn das nach der Fernsehserie gleichen Namens absolut out ist?«
»Eigentlich möchte ich lieber nur ein Wasser. Ich bin mit dem Auto da und habe den ganzen Tag nur ein Stückchen Pizza aus der Hand gegessen.«
»Tun Sie mir den Gefallen und trinken Sie ein ganz kleines Gläschen mit mir. Mein Kir ist nämlich etwas Besonderes. Ich bekomme den Cassis von einer dankbaren Patientin, die ihn selbst macht.«
Dick und dunkel wie Blut tropfte die süße Flüssigkeit in die Sektgläser und stieg in Schlieren durch die Perlen nach oben. Als Hanna ihr Glas entgegennahm, klingelte das Telefon. Joschi nahm mit entschuldigender Geste ab.
»Ach hallo, Dieter«, sagte er. »Wir warten schon auf euch. Wo bleibt ihr denn? … Ach, das tut mir aber leid. Und so ganz plötzlich? Hat Gisela das schon einmal gehabt? … Ja, das ist klar, in dem Zustand kannst du sie nicht allein lassen. Natürlich versteh ich das. Aber schade ist es schon. Die Journalistin, von der ich dir erzählt habe, die euch
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