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Das Haus am Nonnengraben

Titel: Das Haus am Nonnengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
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halben Meter Simone de Beauvoir und weitere Emanzipationsliteratur zulegen würden. Die Werke sind aber alle schon älter, keines ist in den letzten zehn Jahren erschienen. Und da in diesem Haus nichts auf die ständige Anwesenheit einer Frau hindeutet, schließe ich, dass es nicht die Bücher Ihrer Frau oder Schwester, sondern die Ihrer Mutter sind.« Hanna stand auf und holte sich den nächsten Gang, Parmaschinken und Spargel. Deswegen wandte sie Joschi glücklicherweise gerade den Rücken zu, als er sagte: »Du liebe Güte, an Ihnen ist ja eine Detektivin verloren gegangen.«
    Sie zuckte zusammen. Das hatte sie ja prima hingekriegt! Um ihn von ihrer Harmlosigkeit zu überzeugen, sagte Hanna leicht geziert, als genierte sie sich: »Ach, ich interessiere mich nur etwas für Literatur. Ich habe das mal studiert.«
    »Und? Nix draus geworden?«, fragte Joschi herablassend. Er schenkte sich bereits das zweite Glas Weißwein ein.
    »Nein, nach einiger Zeit ging mir das ewige Hermeneutikgeschwätz und das werkimmanente Gepule auf die Nerven.«
    Joschi nickte, als verstünde er, wovon sie sprach. »Und was haben Sie stattdessen gemacht?«
    »Dann habe ich mein Hobby zum Beruf gemacht. Ich war schon als kleines Mädchen gut in Karate, und als Studentin war ich an der Spitze der Uni-Mannschaft, und mein Karatelehrer hat mich gefragt, ob ich denn nicht Kurse für ihn übernehmen wolle.« Offenbar war sie doch nicht so schlecht im Geschichtenerfinden. Ihr Karateunterricht war schon recht lang her und auch nicht sehr intensiv gewesen, geschweige denn, dass sie es je an einen Spitzenplatz geschafft hätte. Aber es war besser, wenn er glaubte, dass sie sich notfalls wehren konnte.
    »Ach ja?«
    »Doch auf die Dauer wurde mir das zu eintönig.« Sie verzog etwas abschätzig die Mundwinkel. »Darum bin ich jetzt freie Journalistin und befrage zum Beispiel Zahnärzte nach ihrem Freizeitverhalten. Haben Sie schon immer gewusst, dass Sie Zahnarzt werden wollen?«
    Joschi holte sich noch ein Wachtelbrüstchen in Aspik. »Ja, hab ich«, sagte er langsam. »Das wollte ich schon immer, schon als Kind. Mein Vater war auch Zahnarzt, ein starker, großartiger Mann. Ich habe ihn sehr bewundert und wollte immer so sein wie er. Ich war sehr gut in der Schule, von meinen Noten her hätte ich alles machen können.« Er war also auch nicht schlecht im Geschichtenerfinden. Sein Vater war doch Lehrer gewesen. Was hatte er nur von dieser Lügengeschichte?
    »Haben Sie die Praxis Ihres Vaters übernommen?« Als Nachtisch gab es Bayerisch Creme, die Hanna besonders gern mochte, mit Himbeersoße.
    »Nein, leider starb er schon, als ich gerade mit meinem Studium begonnen hatte. Aber er blieb mein großes Vorbild.«
    Hatte er sich darum einen anderen Vater erfunden? Weil er ein Vorbild brauchte?
    Aber Joschi sprach schon weiter: »Und jetzt bin ich ein armer Waisenknabe. Ich stehe ganz allein auf der Welt.« Er hob sein Glas und prostete ihr zu.
    »Ach«, sagte Hanna scheinheilig. »Sie Ärmster! Ganz allein? Nicht das kleinste bisschen Tante nennen Sie Ihr eigen?«
    »Keine Tante, keinen Onkel, keine Nichte, keine Frau und keine Kinder. Nicht einmal einen Hund. Ich brauche ganz viel Trost und Zuwendung.« Joschi griff über den Tisch nach ihrer Hand und versuchte, bemitleidenswert auszusehen.
    Hanna zog ihre Hand zurück und faltete ihre Serviette zusammen.
    »Sind Sie fertig mit dem Essen?«, fragte Joschi amüsiert.
    »Ja, danke, es war spitzenmäßig. Schade, dass Ihre Freunde …«
    Er grinste. »Ach, ich finde das nicht so bedauerlich. Wir zwei kommen doch gut miteinander zurecht. Gehen Sie schon mal vor ins Wohnzimmer. Ich mach uns schnell einen Espresso, ja?«
    »Kann ich Ihnen helfen, die Sachen in die Küche zu tragen?«
    »Ach was, das lasse ich stehen. Das macht morgen meine Putzfrau.«
    Hanna juckte es in den Fingern, wenigstens die Platten mit den Resten vom kalten Büfett in den Kühlschrank zu stellen. Aber sie sagte sich streng, das sei nicht ihr Bier beziehungsweise Fleisch. Außerdem war in diesem Fall die Verlockung, ein paar Minuten allein mit Joschis Schreibtisch im Wohnzimmer zu sein, stärker als ihr Widerwille, Essen verderben zu lassen.
    Auf dem Schreibtisch lag eine Ledermappe, die aber nur weißes Papier mit Joschis Briefkopf enthielt. Ein kleiner Stoß ungeöffneter Briefe daneben sah hauptsächlich nach Reklame und Rechnungen aus. Ein Stapel mit Prospekten für Seniorenheime – seltsam, was wollte er denn damit? Unter dem

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