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Das Haus am Nonnengraben

Titel: Das Haus am Nonnengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
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heute Abend zu eurem Freizeitverhalten befragen wollte, ist äußerst attraktiv. Sie guckt schon ganz enttäuscht.« Joschi hob sein Glas und grüßte zu Hanna hinüber. »Ja, vielen Dank, ich bin überzeugt, dass der Abend auch ohne euch sehr nett wird. Grüß Gisela herzlich und sag ihr gute Besserung!«
    Hanna ging, an ihrem Glas nippend, an den Bücherregalen entlang. Sie liebte solche Entdeckungsreisen in einen unbekannten Geist. Sie hatte ein kindliches Vergnügen daran, Bekannte wiederzufinden, Werke, die sie auch besaß, besonders dann, wenn es dieselben Ausgaben waren. Sie versuchte immer gleich herauszufinden, nach welchem System die Bücher aufgestellt waren, und litt Qualen, wenn ihr auffiel, dass ein Buch sich völlig verirrt hatte, denn es ging ja wohl nicht an, dass sie in einer fremden Bibliothek anfing, Bücher umzusortieren.
    Diese Bibliothek hatte offensichtlich nicht Joschi zusammengestellt, Viele Klassikerausgaben waren darunter, ein ganzes Regal mit Lyrik, auch der wunderbare Ewige Brunnen, dick und blau mit goldenen Streifen, viel Fontane, Horst Wolfram Geißler, Siegfried Lenz, Thomas Mann. Bei der ausländischen Literatur, die von der deutschsprachigen getrennt stand, ebenfalls nach Autoren alphabetisch sortiert, die gesamte Simone de Beauvoir, Doris Lessing, Virginia Woolf. Das war nicht die Bibliothek eines jungen Mannes, es mussten Karlas Bücher sein. Doch irgendwie machte das Ganze einen zerrupften Eindruck, wie ein zahnlöcheriges Gebiss, das willkürlich gestopft worden war. Das Grundordnungsprinzip war erkennbar, doch viele Bände standen am falschen Platz. Joschi hatte die Bücher, die Karla mitgenommen hatte, als sie aus diesem Haus ausgezogen war, nach ihrem Tod wohl wahllos wieder ins Regal gestellt.
    Allmählich drang das Telefongespräch, das Joschi im Hintergrund führte, in Hannas Bewusstsein. Sie spürte seinen Blick auf ihrem Rücken, und Unruhe kroch in ihr hoch. Die angekündigten Gäste würden nicht kommen, und ob das nun Zufall war oder Absicht, es bedeutete, dass sie allein mit ihm in diesem großen Haus war.
    Joschi legte auf und kam auf sie zu. Das Glitzern in seinen Augen war ziemlich deutlich. »Wir können gleich mit dem Essen beginnen«, sagte er. »Mein Freund Dieter hat gerade abgesagt. Seine Frau ist schwanger und hat vorhin Blutungen bekommen. Sie werden also für Ihre Recherchen mit mir allein vorlieb nehmen müssen. Ich hoffe, ich kann Ihren Ansprüchen genügen.« Bei den letzten Worten trat er ziemlich nah an sie heran, sah ihr in die Augen und stieß mit seinem Sektglas an ihres.
    Hanna machte einen Schritt zur Seite und sagte kühl: »Welch ein Pech für Ihre Freunde, vor allem wenn sie einen solchen Hunger haben wie ich.« Damit strebte sie zielsicher auf das Speisezimmer zu. Spannung lag plötzlich in der Luft, das Schweigen dauerte einige Sekunden zu lang. Während Hanna sich am Büfett bediente, suchte sie angestrengt nach etwas, womit sie ihn auf ein Thema bringen konnte, zu dem sie mehr von ihm hören wollte.
    »Sind das die Bücher Ihrer Mutter?«, fragte sie schließlich unvermittelt.
    »Die Bücher meiner Mutter?« Joschi zog die Augenbrauen zusammen, während er ihr höflich den Stuhl zurechtrückte.
    Hanna setzte sich an den Tisch und wies mit dem Kopf in Richtung Wohnzimmer.
    »Ach so, meine Büchertapete.« Joschi zwinkerte verständnisheischend. »Ja, die habe ich tatsächlich geerbt. Und die meisten stammen von meiner Mutter. Weißwein oder Rotwein?«
    »Gerne einen Weißen. Und ein großes Glas Wasser, bitte.«
    Als Joschi Hanna das Glas überreichte, sah er sie intensiv prüfend an. »Sie erinnern mich an meine Mutter. Wenn wir eingeladen waren, hat sie auch immer so wie Sie eben vor den Bücherregalen gestanden, den Kopf schief gelegt, um die Titel lesen zu können. Sie hat gemeint, dass sie damit die Leute besser kennenlernen würde. So was Abgefahrenes!«
    »Aber nein! Sage mir, was du liest, und ich sage dir, wer du bist.«
    »Also, das versteh ich nicht. Wenn ich jemanden kennenlernen möchte, dann unterhalte ich mich halt mit ihm. Da erfahre ich doch viel mehr über ihn als aus ein paar Büchern, die irgendwo herumstehen. Hier würden Sie doch zum Beispiel einen ganz falschen Eindruck kriegen. Wie kommen Sie überhaupt darauf, dass das Karlas Bücher sind?«
    »Karla?«
    »Meine Mutter wollte, dass ich sie beim Vornamen nenne. Das war damals pädagogisch gerade in.«
    »Ach so. Nun, ich vermute, dass Sie sich kaum freiwillig einen

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