Das Haus am Nonnengraben
keine Kaninchen und Sie singen nicht im Männerchor.«
Joschi bekam wieder dieses unverschämte grüne Funkeln in die Augen, das bei ihm offenbar Vergnügen signalisierte. »Exakt, Frau Detektivin. Die Kandidatin hat hundert Punkte.«
»Und?«, fragte Hanna gedehnt. »Was tun Sie denn nun in Ihrer Freizeit?«
Joschi lachte. »Ich glaube, ich muss Sie enttäuschen. Ich bin der ganz ordinäre Bildzeitungs-Niveau-Prototyp eines Zahnarztes. Ich mag hübsche Mädchen« – gezielter Blick auf sie – »und schnelle Autos, und ich hätte verdammt gern eine Yacht im Mittelmeer. Ich überlege schon die ganze Zeit, ob ich Ihnen nicht etwas Besonderes bieten könnte – das Sammeln erotischer Erstausgaben, makrobiotische Kochkünste, scientologische Missionsarbeit. Würde sich doch gut für Ihren Artikel machen. Aber leider bin ich ein ganz gewöhnlicher Feld-, Wald- und Wiesenzahnarzt mit den Hobbys, die man von ihm erwartet.«
»Na gut, da kann man halt nichts machen. Vielleicht haben Ihre Freunde oder Bekannten ja interessantere Gewohnheiten. Also, Mädchen, schnelle Autos und der Traum von einer Yacht im Mittelmeer. Ziemlich kostspielig. Wie hat sich die Gesundheitsreform denn darauf ausgewirkt?«
Joschi verfiel in eine längere Schimpftirade über die Reformversuche, die notgedrungen zu einer Verschlechterung der Patientenversorgung führen würden. Das kannte Hanna alles schon aus dem Wartezimmer ihres Zahnarztes. Angaben über die Auswirkungen auf seine Freizeitvorlieben waren nicht darunter.
»Es wurden viele Fehler gemacht, das stimmt schon«, erwiderte Hanna. »Aber andererseits muss sich doch etwas ändern. Unser Gesundheitswesen wird einfach unbezahlbar. Ein Punkt ist zum Beispiel die teure Gerätemedizin. Könnten Sie sich vorstellen, dass Naturheilverfahren …«
Joschi schaute sie stirnrunzelnd an. »Sie erinnern mich wirklich an Karla. Genauso hätte sie auch argumentiert.« Er schüttelte erstaunt den Kopf. »Seltsam, wie oft ich an sie denken muss, seit … Viel öfter, als zu ihren Lebzeiten.«
Hanna ergriff die Gelegenheit. »Wie war sie denn so?«
Joschi setzte die Ellbogen auf die Knie und stützte das Kinn auf die Handrücken. »Ich weiß eigentlich nicht viel über sie. Ich war so lange im Internat.« Seine Augen verengten sich. »Sie war schon eine gute Mutter. Sie war, im Gegensatz zu meinem Vater, immer da, wenn ich der dritte Engel von links im Weihnachtsspiel war, sie ging in alle Sprechstunden der Lehrer und hat mich immer wieder aus schwierigen Situationen herausgepaukt. Und ich hatte viele ›schwierige Situationen‹.« Joschi sagte es, als wäre er stolz darauf.
»Ich war ein schlimmer Finger.« Er strich sich mit Daumen und Zeigefinger über den Nasenrücken. »Aber was sie auch machte, irgendwie war es nicht genug. Es war nie genug. Ich hatte immer das Gefühl, als erfüllte sie möglichst schnell eine lästige Pflicht, um sich danach dem Eigentlichen zuwenden zu können.«
»Und was war das Eigentliche?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe es nie herausbekommen. Ich jedenfalls war es nicht, ich war nicht die Nummer eins.« Und leise fügte er hinzu: »Und ich wäre es so gern gewesen.«
Er schwieg eine Weile, dann kehrte sein Blick zu Hanna zurück, und er schlüpfte wieder hinter die Maske des Charming Boy. »Sorry, ich bin ein miserabler Gastgeber. Wir sitzen hier immer noch vor leeren Espressotassen. Dabei habe ich einen wunderbaren spanischen Rotwein dekantiert. Er ist weich und anschmiegsam. Ich mag das – bei Weinen wie bei Frauen.«
»Mir nur einen kleinen Schluck bitte. Ich muss noch Auto fahren.«
»Ja, wirklich?«, fragte Joschi mit tiefer Stimme und stand auf, um den Rotwein zu holen.
Das wäre der Moment gewesen, in dem sie eigentlich hätte gehen müssen. So knieerweichend attraktiv sie ihn auch fand, sie wollte doch nicht … Irgendetwas stieß sie ab, und es war nicht der Verdacht, den sie anfangs gehabt hatte. Und während sie noch darüber nachdachte, wie sie ihm die Frage stellen konnte, die sie schon den ganzen Abend hatte anbringen wollen, war die Sekunde, in der sie höflich hätte aufstehen und sich mit Anstand hätte verabschieden können, schon vorbei.
Joschi lächelte voller Genugtuung, als hätte er nichts anderes erwartet, als dass sie bliebe. Er ließ den Rotwein in die dickbauchigen Gläser gleiten und prostete ihr zu. »Auf Giselas Schwangerschaft, die uns diesen wunderbaren Abend beschert hat.«
Hanna nahm einen kleinen Schluck. »Nicht
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