Das Haus am Nonnengraben
gestrigen Abend nach Nürnberg zum Flughafen gefahren, da sein Chauffeur sich »kurzfristig den Arm gebrochen« habe. »Ich mache es ja gern«, klagte sie zum Abschluss ihres Berichts, »aber wenigstens ›Danke schön‹ hätte er sagen können.«
Bolz war also nicht Hannas nächtlicher Angreifer gewesen. Es war sowieso unwahrscheinlich, dass er so etwas selbst machen würde; so etwas ließ man erledigen. Und überhaupt, Benno traute Bolz ja alles Mögliche zu, sogar den Mord an Frau Rothammer, aber den Überfall auf Hanna, nein, das nicht.
Also doch Herr Dr. Schneider. Er war immerhin heute Nacht in Bamberg gewesen. Als Benno im Hotel Nepomuk anrief, meldete sich Wally, eine alte Freundin, mit der er vor zwei Jahren ein paarmal ausgegangen war. »Ja, hallo, Benno. Das ist aber schön, mal wieder von dir zu hören! Willst du dich erkundigen, wie es mir geht?«
Benno lachte. »Natürlich, ausschließlich. Wie geht es dir?«
»Na, gut, wenn ich dich am Telefon habe. Was kann ich für dich tun?«
»Lass mich mal überlegen. Hmm, was könnte ich denn von der Chefin eines Hotels wollen?«
»Aber hallo, Herr Staatsanwalt, wir sind ein durch und durch seriöses Haus!«
»Also gut, ganz seriös und offiziell: Bei dir hat sich gestern ein Joschi Schneider eingemietet, mit dem ich sprechen müsste. Ist der noch im Haus?«
»Ja, der Herr Doktor ist noch da. Der legt nämlich großen Wert darauf, mit ›Herr Doktor‹ angesprochen zu werden.« Wally kicherte. »Dabei hätte der das wirklich nicht nötig, so gut wie der ausschaut. Der bräuchte nur mit den Fingern zu schnippen …« Sie seufzte genüsslich.
»Na hör mal. Geht das nicht gegen die Standesehre, mit Gästen?«
»Ach, schließlich geht uns das Wohlbefinden unserer Gäste über alles. Da muss man schon zu dem einen oder anderen Opfer bereit sein.«
»Du armes Opferlamm! Weißt du, ob Herr Dr. Schneider vorhat, heute abzureisen?«
»Er hat das Zimmer für zwei Tage gebucht, und momentan schläft er noch. Er wollte um zehn Uhr geweckt werden und hat dann ein Frühstück aufs Zimmer bestellt.«
»Ich danke dir. Ich komm dann später vorbei. Kannst du mir bitte Bescheid geben, falls Schneider schon früher auftauchen sollte?« Benno gab ihr seine Handynummer.
Er nahm sich ein großes Blatt Papier, um ein Diagramm der möglichen Beziehungen zwischen dem Mordfall Rothammer und dem Überfall auf Hanna zu erstellen. Dabei musste er sich eingestehen, dass er der Lösung des Mordfalls noch nicht viel näher gekommen war als zu Anfang. Immer, wenn er glaubte, festen Boden unter den Füßen zu gewinnen, tauchten neue Fragen, Sumpflöcher, Abwege auf. Hatte Joschi Schneider tatsächlich nichts vom Tod seiner Tante gewusst? Das würde erklären, warum er sich bisher nicht bei der Polizei gemeldet hatte. Ich muss das unbedingt mit Werner besprechen, dachte Benno.
Wie auf einen telepathischen Kontakt hin klingelte in diesem Moment das Telefon. »Na, Benno, wie fühlst du dich?«, fragte Werner. »Kurze Nacht, was? Da siehst du mal, wie es uns armen, geschundenen Polizisten oft geht.«
»Der Dank des Vaterlands ist dir gewiss. Was machen deine Russen?«
»Sie sind nicht aufgetaucht. Wir können uns also noch eine Nacht um die Ohren schlagen. Mist, verfluchter! Und wie sieht es bei dir aus, wie geht es Frau Tal?«
»Ich glaube, ganz gut. Die Krönerin ist bei ihr und sagt, sie schliefe noch. Dr. Last meinte heute Nacht, auf die Beruhigungsmittel hin würde sie etwa acht Stunden schlafen. Ich denke, so gegen Mittag müsstest du mit ihr sprechen können.«
»Mache ich. Ich weiß übrigens, wie der Einbrecher zu Frau Tal gelangt ist. Heute früh hat einer von den Kropfens den Diebstahl eines Schelchs gemeldet. Weil er repariert werden sollte, lag der noch im alten Kanal, vom Fischerstechen bei der Sandkerwa.«
»Aha. Stell dir vor, dieses berühmte Turnier habe ich noch nie gesehen. Da ist immer so ein Menschenandrang, und ich kann solche Massen nicht leiden.«
»Na ja, wenn du dich ranhältst, dann hast du nächstes Jahr ja einen Logenplatz. Das Fischerstechen findet doch genau vor dem Häuschen von Frau Tal statt. Das müsste bis zu ihren Fenstern spritzen, wenn die sich gegenseitig ins Wasser schubsen.«
»Na gut, auch ein Grund, um sich ranzuhalten. Ich werd’s mir merken. Die Polizei, dein Freund und Helfer! Trotzdem hätte ich dich nachher gern bei einer Vernehmung dabei. Es handelt sich um den Neffen von Frau Rothammer …«
»Wie bitte, Frau Rothammer
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