Das Haus Am Potomac
Augen
blickten sanft, als sie zum Ausdruck brachte, daß sie für
die Hungernden beten wolle. Das war die Frau, die Pat
verehrt hatte. Der Nachrichtensprecher verkündete:
»Später wurde Senatorin Jennings auf das Bild von ihr
als Schönheitskönigin angesprochen, das diese Woche auf
der Titelseite des National Mirror ist.« Ein
briefmarkengroßes Bild der Mirror -Titelseite wurde
eingeblendet.
»Der Senatorin kamen Tränen in die Augen, als sie
daran dachte, wie sie auf Wunsch ihrer Mutter an dem
Wettbewerb teilgenommen hatte. Potomac Cable Network
wünscht Senatorin Abigail Jennings ein sehr frohes
Weihnachten; und wir sind sicher, daß ihre Mutter
schrecklich stolz auf sie wäre, wenn sie wüßte, wie weit
sie es gebracht hat.«
»Du lieber Himmel!« entfuhr es Pat. Sie sprang auf und
stellte den Fernseher aus. »Und Luther hat die
Dreistigkeit, das als Nachrichten zu senden! Kein Wunder,
daß den Medien tendenziöse Berichterstattung
vorgeworfen wird.«
Ruhelos begann sie die widersprüchlichen Aussagen zu
notieren, die sie im Laufe einer Woche gehört hatte:
Catherine Graney hatte gesagt, daß Abigail und Willard
kurz vor einer Scheidung standen.
Senatorin Jennings behauptete, ihren Mann sehr geliebt
zu haben.
Eleanor Brown stahl Senatorin Jennings $75.000.
Eleanor Brown schwor, das Geld nicht gestohlen zu
haben.
George Graney war ein Meisterpilot; sein Flugzeug
wurde vor dem Start sorgfältig überprüft.
Senatorin Jennings unterstellte George Graney
Unachtsamkeit und Mängel an seiner Maschine.
Das ergibt alles keinen Sinn, dachte Pat, es paßt alles
absolut nicht zusammen!
Es war fast elf, als die Türglocke Sams Ankunft
verkündete. Um halb elf war Pat in ihr Zimmer
hinaufgegangen, da sie eigentlich nicht mehr mit ihm
rechnete, doch dann hatte sie sich gesagt, daß Sam
angerufen hätte, wenn er nicht mehr käme. Sie hatte sich
einen seidenen Hausanzug angezogen, in dem man sich
gemütlich hinrekeln, aber auch noch Besuch empfangen
konnte. Sie wusch sich das Gesicht, trug dann einen
leichten Lidschatten auf und etwas Lippengloss. Ich darf
auch nicht wie eine graue Maus aussehen, dachte sie –
nicht wenn er gerade von der Schönheitskönigin kommt.
Sie hing schnell die Sachen auf, die sie überall im Raum
verstreut hatte. War Sam ein ordentlicher Mensch? Nicht
einmal das weiß ich, dachte sie. Die eine Nacht, die sie
zusammen verbracht hatten, war kein Gradmesser für
persönliche Angewohnheiten gewesen. Nachdem sie ins
Motel gezogen waren, hatte sie sich mit der
zusammenklappbaren Zahnbürste, die sie immer in ihrem
Schminkbeutel hatte, die Zähne geputzt. »Ich wünschte,
ich hätte auch so eine bei mir«, hatte er gesagt. Sie hatte
zu seinem Spiegelbild aufgelächelt. »Eine meiner
Lieblingszeilen aus Random Harvest war, als der Pfarrer
Smithy und Paula fragte, ob sie so ineinander verliebt
wären, daß sie dieselbe Zahnbürste benutzten.« Sie spülte
ihre unter warmem Wasser aus, trug Zahnpasta auf die
Borsten auf und reichte ihm die Bürste. »Bitte bedien
dich.«
Diese Zahnbürste war jetzt in dem samtüberzogenen
Schmuckkästchen in der obersten Schublade der
Frisierkommode. Manche Frauen preßten Rosen oder
banden Briefe mit Bändern zusammen, dachte Pat, ich
bewahre eine Zahnbürste als Andenken auf.
Sie war gerade die Treppe heruntergekommen, als es ein
zweites Mal läutete. »Herein, herein, wer Sie auch sind«,
sagte sie.
Sam machte ein reumütiges Gesicht. »Pat, es tut mir
leid. Ich kam nicht so schnell fort, wie ich gehofft hatte.
Und dann bin ich mit dem Taxi nach Hause gefahren, habe
mein Gepäck ausgeladen und mir meinen Wagen geholt.
Wolltest du gerade ins Bett gehen?«
»Ganz und gar nicht. Wenn du meinen Aufzug meinst,
so ist das eigentlich ein Hausanzug und laut der SaksBroschüre das ideale Kleidungsstück für einen Abend zu
Hause, an dem man Freunde gastlich empfängt.«
»Sei nur vorsichtig, was für Freunde du empfängst«,
meinte Sam. »Diese Aufmachung wirkt ziemlich sexy.«
Sie nahm ihm den Mantel ab; die feine Wolle war noch
kalt von dem eisigen Wind.
Er beugte sich zu ihr herunter, um sie zu küssen.
»Möchtest du etwas trinken?« Sie führte ihn, ohne seine
Antwort abzuwarten, in die Bibliothek und deutete
schweigend auf die Bar. Er goß Brandy in
Kognakschwenker und reichte ihr ein Glas. »Ich nehme
an, das ist immer noch dein abendlicher Lieblingstrunk?«
Sie nickte und setzte sich mit voller Absicht
Weitere Kostenlose Bücher