Das Haus Am Potomac
»und er schielte dauernd nach anderen Frauen.«
Drehte sie in jener Nacht aus Eifersucht durch? Wer mag
der Anlaß für diesen tragischen Ausbruch gewesen sein?
Vierundzwanzig Jahre danach stellt man in Washington
immer noch Vermutungen darüber an.
Ein Bild zeigte Abigail groß als Miss Apple Junction mit
Krone. Die Bildlegende darunter lautete:
Die meisten Prominenten-Profile sind zum Gähnen,
Neuauflagen im alten Ed-Murrow-Stil. Aber die
bevorstehende Sendung über Senatorin Abigail Jennings
wird wahrscheinlich die höchsten Einschaltziffern dieser
Woche haben. Schließlich wird die Senatorin vielleicht die
erste Frau im Amt des Vizepräsidenten. Eingeweihte
wetten auf sie. Jetzt hoffen nur alle, daß in dem Feature
noch mehr Bilder von der vornehmen Senatorin aus
Virginia mit Rheinkristallkrone zu sehen sein werden, die
sie einmal als Schönheitskönigin gewann. Und was die
ernste Seite der Sache betrifft, so sind sich alle im
Ungewissen darüber, wer Abigail Jennings so sehr hassen
könnte, daß er das Leben der Moderatorin bedroht, deren
Idee diese Sendung war.
Die Hälfte der rechten Seite stand unter der Überschrift:
DIE VOR-KENNEDY-ÄRA. Darunter war eine
Ansammlung von Fotos, zum größten Teil
Schnappschüsse von inoffiziellen Zusammenkünften. Der
Begleittext lautete:
Ein merkwürdiger Zufall ist, daß Senatorin Abigail
Jennings früher häufig zu Gast im Adams-Haus war. Sie
und ihr verstorbener Mann, der Kongreßabgeordnete
Willard Jennings, waren eng mit Dean und Renée Adams
sowie mit John Kennedy und seiner Frau befreundet. Die
drei hinreißenden jungen Paare konnten nicht ahnen,
welch dunkles, unheimliches Schicksal dies Haus und
ihrer aller Leben überschattete.
Die Bilder zeigten die sechs, zusammen und in gemischten
Gruppierungen, im Garten des Hauses in Georgetown, auf
dem Jennings-Anwesen in Virginia und auf dem Besitz in
Hyannis Port. Und auf einem halben Dutzend der Fotos
sah man Abigail nach Willards Tod allein in der Gruppe.
Toby stieß ein wildes, wütendes Knurren aus. Er fing an,
die Zeitung mit beiden Händen zu zerknüllen, wollte diese
ärgerlichen Seiten mit purer physischer Gewalt vernichten,
aber das nützte ja nichts. Das machte ja alles nicht
ungeschehen.
Er mußte das Abby zeigen, sobald sie zu Hause waren.
Gott allein wußte, wie sie darauf reagieren mochte. Sie mußte einen kühlen Kopf behalten. Davon hing alles ab.
Als Toby am Gehsteig vorfuhr, stand Sam Kingsley
neben Abigail. Er wollte gerade aussteigen, aber da
öffnete Kingsley schon für Abigail die Tür und half ihr
beim Einsteigen. »Danke fürs Händchenhalten, Sam«,
sagte sie. »Es geht mir schon wieder viel besser. Schade,
daß Sie nicht mit mir zusammen zu Abend essen können.«
»Sie haben mir versprochen, daß wir das ein andermal
nachholen.«
Toby fuhr schnell, er hatte es eilig, Abigail nach Hause
zu bekommen, als müßte er sie vor der Öffentlichkeit
abschirmen, bis er ihr über die erste Reaktion auf den
Artikel hinweggeholfen hatte.
»Mit Sam hat es etwas Besonderes auf sich«, sagte
Abigail plötzlich, um die schwer lastende Stille zu
beenden.
»Du weißt ja, wie es die ganzen Jahre um mich stand –
aber, Toby, er erinnert mich auf eine verrückte Art und
Weise an Billy. Ich habe das Gefühl – nur ein Gefühl,
weißt du –, daß sich zwischen Sam und mir etwas
anbahnen könnte. Das wäre so, als ob man eine zweite
Chance bekommt.«
Es war das erste Mal, daß sie etwas dieser Art sagte.
Toby blickte in den Rückspiegel. Abigail saß
zurückgelehnt, in entspannter Haltung, ein zärtliches
Lächeln im Gesicht.
Und er mußte so gemein sein, diese Hoffnung und
Zuversicht zu zerschlagen.
»Toby, hast du die Zeitung gekauft?«
Es hatte keinen Sinn, zu lügen. »Ja, Senatorin.«
»Laß mich bitte einen Blick hineinwerfen.«
Er reichte ihr den ersten Teil nach hinten.
»Nein, ich habe jetzt keine Lust auf die Nachrichten. Wo
ist der Feuilletonteil?«
»Nicht jetzt, Senatorin.« Es war nur wenig Verkehr; sie
hatten schon die Chain Bridge überquert. In einigen
Minuten wären sie zu Hause.
»Was soll das heißen, nicht jetzt ?«
Er antwortete nicht, und es trat ein langes Schweigen
ein. Dann fragte Abigail mit kühler, brüchiger Stimme:
»Etwas Unangenehmes im Klatschteil – etwas, das mir
schaden könnte?«
»Etwas, das dir nicht gefallen wird, Senatorin.«
Den Rest der Strecke legten sie schweigend zurück.
27
Über die
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