Das Haus an der Düne
– an einem neuen Draht. Kommen Sie und sehen Sie es sich doch an.»
Sie ging voran und wir folgten ihr. Das betreffende Bild war ein Ölgemälde in einem schweren Rahmen und hing direkt über dem Kopfende ihres Bettes.
Mit einem gemurmelten «Sie erlauben doch, Mademoiselle», zog Poirot seine Schuhe aus und kletterte auf das Bett. Er untersuchte das Bild und den Draht, dann prüfte er genau das Gewicht des Gemäldes. Elegant kletterte er wieder hinunter.
«Das auf den Kopf zu bekommen – nein, das wäre ganz und gar nicht schön. Die alte Aufhängung, Mademoiselle, war sie so ein Draht wie dieser hier?»
«Ja, aber nicht so dick. Diesmal habe ich einen dickeren besorgt.»
«Nur zu verständlich. Und haben Sie die Bruchstelle untersucht – waren die Enden ausgefranst?»
«Ich denke schon – aber ich habe nicht besonders darauf geachtet. Warum auch?»
«Genau, warum auch? Dennoch würde ich sehr gerne einen Blick auf dieses Stück Draht werfen. Befindet es sich noch irgendwo im Haus?»
«Es war noch an dem Bild. Ich nehme an, der Handwerker hat den alten Draht einfach weggeworfen.»
«Zu schade. Ich hätte ihn gerne gesehen.»
«Sie glauben doch nicht – war es am Ende gar kein Unfall? Was hätte es denn sonst sein können?»
«Es könnte sich sehr wohl um einen Unfall handeln. Unmöglich, das festzustellen. Aber die Panne mit den Bremsen – das war kein Unfall. Und der Felsbrocken an der Klippe – ich würde gerne die Stelle sehen, wo der Unfall passierte.»
Nick ging voran in den Garten und führte uns zur Klippe. Tiefblau glitzerte das Meer unter uns. Ein holpriger Pfad wandte sich den Felsen hinunter. Nick beschrieb uns genau, wo der Unfall passiert war, und Poirot nickte nachdenklich. Dann fragte er: «Wie viele Wege führen in Ihren Garten, Mademoiselle?»
«Es gibt den vorderen Weg am Pförtnerhaus vorbei. Und dann gibt es einen Lieferanteneingang – ein Tor in der Mauer, etwa halbwegs diesen Pfad entlang. Und dann noch eine Pforte gleich hier am Rand der Klippe. Hinter ihr beginnt ein Zickzackpfad, der von diesem Strand hier direkt zum Majestic verläuft. Und dann gibt es noch die Verbindung durch ein Loch in der Hecke direkt in den Garten des Majestic. So kam ich heute Morgen dorthin. Außerdem kann man so auch den Weg in die Stadt abkürzen.»
«Und Ihr Gärtner? – Wo arbeitet er gewöhnlich?»
«Nun, in der Regel trödelt er im Küchengarten herum oder er sitzt im Schuppen und tut so, als schleife er seine Heckenscheren.»
«Sozusagen auf der entgegengesetzten Seite des Hauses? So, dass jemand, der diesen Weg hier nähme, einen Felsbrocken sehr wahrscheinlich unbemerkt lockern könnte.»
Nick überlief auf einmal ein kalter Schauer.
«Glauben Sie – glauben Sie tatsächlich, dass es sich so zugetragen hat?», wollte sie wissen. «Ich kann mir das irgendwie nicht vorstellen. Es kommt mir alles so unwirklich vor.»
Poirot zog nochmals die Kugel aus der Tasche und betrachtete sie.
«Dies hier ist keineswegs unwirklich, Mademoiselle», sagte er sanft.
«Es kann sich nur um einen Verrückten handeln.»
«Schon möglich. Sind in Wirklichkeit Kriminelle alle nur Verrückte? Ein beliebtes und interessantes Thema zum Nachtisch bei einer Dinnerparty. Vielleicht sind ihre kleinen grauen Zellen missgebildet – ja, das ist sogar ziemlich wahrscheinlich. Das allerdings fällt in das Aufgabengebiet der Medizin. Ich hingegen sehe meine Aufgabe andernorts. Mein Anliegen sind die Unschuldigen, nicht die Schuldigen – ich denke an das Opfer, nicht an den Täter. Mit Ihnen, Mademoiselle, beschäftige ich mich und nicht mit dem großen Unbekannten. Sie sind so jung und schön, die Sonne scheint, die Welt ist in Ordnung und Sie haben Ihr ganzes Leben und die Liebe noch vor sich. Nur daran denke ich, Mademoiselle. Nun sagen Sie mir, wie lange sind Ihre Freunde, diese Mrs Rice und Mr Lazarus, schon hier?»
«Freddie verschlug es am Mittwoch in diesen Teil der Welt. Auf dem Weg verbrachte sie noch ein paar Tage bei Leuten in der Nähe von Tavistock. Sie kam gestern hier an. Ich glaube, Jim ist die ganze Zeit in der Gegend hier herumgegondelt.»
«Und Commander Challenger?»
«Er lebt in Devonport. Wann immer es ihm möglich ist, kommt er mit dem Auto rüber – meist am Wochenende.»
Poirot nickte. Wir bewegten uns zurück in Richtung Haus. In das allgemeine Schweigen hinein fragte er unvermittelt: «Haben Sie eine Freundin, der Sie vertrauen können, Mademoiselle?»
«Ja,
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