Das Haus an der Düne
länger in Ihrer Trauer behelligen.»
Er ging zur Tür und, mit der Hand auf dem Türgriff, fragte er über die Schulter: «Ach, übrigens, Sie erwähnten einmal Ihr Testament. Wo befindet es sich?»
«Oh! Das muss irgendwo herumliegen.»
«In End House?»
«Ja.»
«In einem Safe? Oder wohl verschlossen in Ihrem Schreibtisch?»
«Ich weiß es wirklich nicht genau. Irgendwo muss es sein.» Sie verzog das Gesicht. «Ich bin furchtbar schlampig, müssen Sie wissen. Papiere und solche Sachen müssten eigentlich in dem Schreibtisch in der Bibliothek sein. Dort befinden sich jedenfalls die meisten Rechnungen. Wahrscheinlich ist das Testament dabei. Oder es könnte vielleicht auch in meinem Schlafzimmer sein.»
«Gestatten Sie mir, danach zu suchen – ja?»
«Wenn Sie es möchten – ja, sicher. Sehen Sie nur überall nach.»
« Merci, Mademoiselle. Ich werde mich Ihrer Erlaubnis bedienen.»
Zwölftes Kapitel
Ellen
P oirot sagte kein Wort, bis wir aus dem Sanatorium heraus und an der frischen Luft waren. Dann packte er mich beim Arm.
«Sehen Sie Hastings? Sehen Sie? Ah! Sacré tonnèrre! Ich hatte Recht! Ich hatte doch Recht! Ich wusste die ganze Zeit, dass etwas fehlte – ein Teil des Puzzles fehlte. Und ohne dieses fehlende Teil war die ganze Sache sinnlos.»
Sein geradezu verzweifelter Triumph kam mir spanisch vor. Ich konnte nicht finden, dass sich etwas Weltbewegendes ereignet hatte.
«Es war die ganze Zeit da. Und ich konnte es nicht erkennen. Aber wie sollte ich auch? Es ist eine Sache, zu wissen, dass es da etwas gibt – ja, das ist möglich –, aber zu wissen, was dieses Etwas ist. Ah! Ca c’est bien plus diffic i le. »
«Wollen Sie damit sagen, dass dies in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Verbrechen steht?»
« Ma foi, verstehen Sie denn nicht?»
«Also ehrlich gesagt, nein.»
«Ist es die Möglichkeit? Dabei liefert es uns doch das lang gesuchte Motiv – das verborgene, rätselhafte Motiv!»
«Ich mag wohl schwer von Begriff sein, aber ich kann es nicht erkennen. Meinen Sie vielleicht Eifersucht?»
«Eifersucht? Nein, nein, mein Freund. Das übliche – das unvermeidliche Motiv. Geld, mein Freund, Geld!»
Ich sah ihn verdutzt an. Er fuhr in ruhigerem Ton fort.
«Hören Sie, mon ami. Vor einer Woche verstarb Sir Matthew Seton. Und Sir Matthew Seton war Millionär – einer der reichsten Männer Englands.»
«Ja, aber…»
« Attendez. Geduld. Eins nach dem anderen. Er hat einen Neffen, den er vergöttert und dem er, davon können wir mit Sicherheit ausgehen, sein riesiges Vermögen hinterlassen hat.»
«Aber…»
« Mais oui – Legate, ja, eine Stiftung in Zusammenhang mit seinem Steckenpferd, sicher ja, aber der Löwenanteil geht an Michael Seton. Letzten Dienstag hat man Michael Seton als vermisst gemeldet – und am Mittwoch beginnen die Anschläge auf Mademoiselles Leben. Angenommen, Hastings, Michael Seton hat vor seinem Flug ein Testament gemacht, und angenommen, er hat alles seiner Verlobten vererbt.»
«Das sind reine Spekulationen.»
«Es sind Spekulationen – ja. Aber es muss einfach so sein. Denn sonst ergibt alles, was geschehen ist, überhaupt keinen Sinn. Es handelt sich hier nicht um einen Pappenstiel. Es geht um ein ungeheures Vermögen.»
Ich schwieg ein paar Minuten und überdachte das Ganze. Mir schienen Poirots Schlussfolgerungen äußerst leichtfertig, und doch war ich gleichzeitig innerlich überzeugt, dass er Recht hatte. Sein außergewöhnlicher Instinkt, Recht zu haben, verfehlte dabei seine Wirkung auf mich keineswegs. Und doch mangelte es eindeutig noch an einer ganzen Anzahl handfester Beweise.
«Aber wenn doch niemand von der Verlobung wusste», argumentierte ich.
«Pah! Jemand hat es eben doch gewusst. Und überhaupt weiß immer jemand Bescheid. Und wenn man es nicht weiß, dann spekuliert man eben. Madame Rice vermutete etwas. Mademoiselle Nick hat das zugegeben. Vielleicht hat sie ihren Vermutungen Gewissheit verliehen.»
«Wie denn?»
«Nun, zunächst einmal muss es Briefe von Michael Seton an Mademoiselle Nick geben. Sie waren ja eine ganze Zeit verlobt.
Und selbst ihre beste Freundin würde diese junge Dame als nachlässig bezeichnen. Sie lässt alles irgendwo herumliegen. Ich bezweifle, dass sie in ihrem Leben je etwas weggeschlossen hat. Oh ja, da gäbe es genügend Wege, sich zu vergewissern.»
«Und Frederica Rice würde von dem Testament wissen, das ihre Freundin gemacht hat?»
«Ohne Zweifel. Oh ja, das zeichnet sich
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