Das Haus an der Düne
immer deutlicher ab. Sie erinnern sich an meine Liste – eine Liste der Personen von A bis J. Sie ist nunmehr auf zwei Personen geschrumpft. Ich schließe die Bediensteten aus, ich schließe Commander Challenger aus – obwohl er anderthalb Stunden von Plymouth bis hierher gebraucht hat – und es sind nur dreißig Meilen. Ich schließe den langnasigen Monsieur Lazarus aus, der fünfzig Pfund für ein Porträt geboten hat, das nur zwanzig wert ist. (Das ist ungewöhnlich, je mehr man darüber nachdenkt, höchst untypisch für seinesgleichen.) Ich streiche die Australier – ach so herzlich und nett. Ich lasse nur noch zwei Leute auf meiner Liste.»
«Eine ist Frederica Rice», sagte ich langsam.
Ich sah ihr Gesicht vor mir, das goldene Haar und die durchsichtige Zartheit ihrer Züge.
«Ja. Alles weist sehr deutlich auf sie hin. Wie nachlässig Mademoiselles Testament auch formuliert sein mag, sie wird doch eindeutig als Haupterbin genannt sein. Außer End House sollte alles an sie gehen. Hätte man Mademoiselle Nick gestern Abend an Stelle von Mademoiselle Maggie erschossen, wäre Madame Rice heute eine reiche Frau.»
«Ich kann es kaum glauben!»
«Sie meinen, Sie können es kaum glauben, dass eine schöne Frau eine Mörderin sein kann? Damit haben auch so manche Geschworene häufig ihre Probleme. Aber es gibt ja noch einen Verdächtigen.»
«Wen?»
«Charles Vyse.»
«Aber der erbt doch nur das Haus.»
«Ja – aber vielleicht weiß er das nicht. Hat er das Testament für Mademoiselle aufgesetzt? Ich glaube kaum. Wenn dem so wäre, befände es sich in seiner Verwahrung und würde nicht ‹irgendwo herumliegen›, wie Mademoiselle es ausgedrückt hat. Also, Sie sehen, Hastings, es ist sehr wahrscheinlich, dass er nichts von dem Testament weiß. Er könnte annehmen, dass sie nie ein Testament gemacht hat und dass er folglich als nächster Anverwandter der Erbe sei.»
«Wissen Sie», gestand ich ihm, «das scheint mir weitaus einleuchtender.»
«Da kommt wieder Ihr romantisches Gemüt durch, Hastings. Der schurkische Anwalt. Eine vertraute Figur aus Romanen. Wenn er zudem noch ein undurchdringliches Gesicht macht, ist die Sache für Sie gleich bombensicher. Es stimmt allerdings, er passt in mancher Hinsicht besser als Madame. Es ist wahrscheinlicher, dass er über die Pistole Bescheid wusste und sie auch benutzen würde.»
«Und den Felsblock hinunterstürzen konnte.»
«Vielleicht. Obwohl da, wie ich Ihnen bereits sagte, viel mithilfe der Hebeltechnik getan werden kann. Und die Tatsache, dass der Felsbrocken sich zur falschen Zeit löste und daher Mademoiselle nicht traf, lässt mehr auf weibliche Täterschaft schließen. An den Bremsen eines Autos herumzubasteln sieht nach einer rein männlichen Angelegenheit aus – obwohl heutzutage viele Frauen genauso gute Mechaniker sind wie Männer. Andererseits hat die Theorie gegen Monsieur Vyse noch einige Lücken.»
«Nämlich…?»
«Es ist unwahrscheinlich, dass er von Mademoiselles Verlobung wusste. Und da ist noch ein Punkt. Der Täter handelte ziemlich überstürzt.»
«Wie meinen Sie das?»
«Nun, bis gestern Abend gab es keine Gewissheit über Setons Tod. So hastig zu handeln, ohne sich vorher abzusichern, scheint mir äußerst untypisch für eine juristische Denkart.»
«Ja», stimmte ich zu. «Eine Frau neigt eher zu voreiligen Schlüssen.»
«Genau. Ce que femme veut, Dieu veut. Das ist die Einstellung der Frauen.»
«Es grenzt wirklich an Wunder, wie Nick jedes Mal davongekommen ist. Es scheint beinahe unglaublich.»
Und plötzlich erinnerte ich mich an den Unterton in Fredericas Stimme, als sie sagte: «Nick ist wie durch einen Zauber unverwundbar.» Ein leichter Schauer lief mir über den Rücken.
«Ja», meinte Poirot nachdenklich. «Und das ist in keiner Weise mein Verdienst. Das ist demütigend für mich.»
«Vorsehung», murmelte ich.
«Ah! Mon ami, ich an Ihrer Stelle würde dem lieben Gott nicht die Last der menschlichen Fehler aufbürden. Sie sagen das voller Dankbarkeit mit Ihrer schönsten Sonntagmorgenstimme – ohne darüber nachzudenken, dass Sie in Wirklichkeit sagen, dass le bon Dieu Miss Maggie Buckley getötet hat.»
«Also wirklich, Poirot.»
«Also wirklich, mein Freund! Aber ich lehne mich nicht zurück und sage, es ist alles Gottes Wille, da mische ich mich nicht ein. Denn ich bin überzeugt, dass le bon Dieu Hercule Poirot geschaffen hat, damit er sich einmischt. Das ist mein métier.»
Wir waren langsam den
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