Das Haus an der Klippe
Haus verblieben war. Der Rest hatte längst den Weg ins Auktionshaus gefunden. Macallum, der wenig Zeit für Kunst opferte, hatte einfach Bilder erworben, deren Größe und Stil sich für die freien Flächen in seinem neuen Haus eigneten. Einige der Künstler waren glücklicherweise inzwischen wieder in Mode gekommen und hatten anständige Preise erzielt.
Bei dem Portrait verhielt sich die Sache anders. Macallum hatte sich erkundigt, wer der beste Portraitmaler in der Gegend sei. Man hatte ihm Augustus John empfohlen, und er umwarb den Künstler mit hohen Angeboten, aber es ging das Gerücht, die exotische Schönheit von Feenies Mutter habe John bewogen, den Auftrag anzunehmen. Wahrscheinlich war das Bild mehr wert als alle übrigen zusammen, doch Feenie hatte bisher der Versuchung widerstanden, es zu Geld zu machen, und beruhigte ihr Gewissen mit dem Gedanken, sein Wert werde noch weiter steigen. Macallums gutgefüllten Weinkeller behielt sie mit derselben Begründung, die sich in diesem Fall jedoch als recht fadenscheinig erwies, denn im Lauf der Jahre hatte sie ihn selbst regelmäßig in Anspruch genommen, und an manchen Abenden stand sie nach ein, zwei wahllos herausgegriffenen Flaschen vor dem Gemälde und erwog, es wie ein altes Foto in zwei Hälften zu zerschneiden, ihren Vater zu verkaufen und ihre Mutter zu behalten.
Im Augenblick lag ihr der Gedanke an einen solchen Akt des Vandalismus fern, teils, weil sie in nüchternem Zustand bezweifelte, ob diese Lösung finanziell besonders lukrativ sein würde, hauptsächlich aber, weil sie wußte, daß der Zeitpunkt rasch näher rückte (in den Augen mancher sogar längst überschritten war), da Gunnery House unbewohnbar sein würde. Natürlich konnte sie unbegrenzt auf der Ladefläche ihres alten Landrover campieren, aber für ein lebensgroßes Portrait war dort kein Platz.
»Also wandert ihr auch ins Auktionshaus, meine Lieben«, sagte sie.
Ihre Mutter, mit den hohen slawischen Wangenknochen und den tiefgrauen, ausdrucksvollen Augen vom Künstler hervorragend getroffen, so daß man sie ohne weiteres für die russische Aristokratin hielt, als die sie sich ausgab, zeigte die gelangweilte Gleichgültigkeit eines Menschen, dem die Gewöhnlichkeit des Geldes nichts bedeutete. Macallum an ihrer Seite zeigte hingegen einen Ausdruck grimmiger Zufriedenheit, zum einen gewiß inspiriert durch die Grille eines einfachen, hart arbeitenden Mannes, der einen bekannten Künstler engagiert hatte, um für die Nachwelt die große Schönheit seiner Frau und seinen dementsprechend großen Erfolg zu dokumentieren. Höchstwahrscheinlich spiegelte sich darin auch die Ahnung, das Honorar des Malers werde sich posthum als lohnende Investition erweisen.
Natürlich würde ihn die Verwendung, die Feenie für das Geld vorsah, weniger befriedigen. Aber daran sollte er sich inzwischen gewöhnt haben. »Danke,
oteko«,
sagte sie. Diese slowakische Anrede für
Väterchen
hatte er gehaßt.
Ein diskretes Hüsteln ließ sie zusammenfahren.
Als sie sich umdrehte, sah sie Wendy Woolley in der Tür stehen.
Feenie runzelte die Stirn. Sie, die ein Leben lang spürbaren Eindruck hinterlassen hatte, begriff nicht, wie jemand sich so zurücknehmen konnte. Man hätte meinen sollen, daß diese Frau zu unscheinbar war, um einem zur Last zu fallen, aber unter gewissen Umständen konnte ihre Unauffälligkeit zur Gefahr werden. Zum Beispiel vergaß man sie so leicht, daß es Feenie, als die Lage gestern kompliziert zu werden begann, nicht in den Sinn gekommen war, sie anzurufen und ihren Besuch, der sie mit dem Innenleben von Liberata Trust vertraut machen sollte, zu verschieben. Und als sich die Probleme heute morgen zuspitzten, ertönte natürlich der grabesähnliche Klang der Türglocke, und Wendy stand, nervös lächelnd, auf der Schwelle. Schlimmer noch, sie hatte einen ramponierten Koffer dabei und behauptete, sie sei über Nacht eingeladen worden, woran Feenie sich freilich nicht erinnern konnte.
Ihr das Büro und ein Gästezimmer zu zeigen hatte Zeit gekostet. Beide befanden sich in einem hinreichend chaotischen Zustand, um die ergebenste Helferin abzuschrecken.
Vielleicht, dachte Feenie, will sie mir ja ihren Rücktritt anbieten. Besonders groß war diese Hoffnung nicht. Auch wenn sie allmählich kurzsichtig wurde, Gesichter waren für sie ein offenes Buch, und alles, was sie aus Wendys Zügen las, war das entschlossene Pflichtgefühl der Schwachen.
»Tut mir leid, wenn ich störe«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher