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Das Haus an der Klippe

Das Haus an der Klippe

Titel: Das Haus an der Klippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Liebe …?«
    »Selbstverständlich, aber wo ist das Dorf denn genau?«
    »Am Tor rechts, dann die zweite links, dann anderthalb Meilen geradeaus«, erklärte Feenie. »Sie können es nicht verfehlen. Ich bin Ihnen so dankbar. Wirklich sehr freundlich von Ihnen.«
    Wendy errötete, lächelte verlegen und ging.
    Lügnerin, sagte sich Feenie Macallum. Selbst Leuten, die seit fünfzig Jahren in der Gemeinde Axness wohnten, passierte es, daß sie das Dorf nicht fanden. Sie log nicht gerne, aber im Lauf der Jahre war sie zu der Einsicht gelangt, daß pingelige Ehrlichkeit einem zwar zu Pluspunkten im himmlischen Buch der guten Taten verhalf, aber hier auf Erden nicht viel einbrachte. Liberata Trust war dafür ein anschauliches Beispiel. Zunächst erschien es als eine hervorragende Idee, die Organisation als gemeinnützigen Verein eintragen zu lassen und die damit verbundenen Steuervorteile zu nutzen, und im Lauf der Jahre war es ihr am einfachsten und vernünftigsten erschienen, ihr ganzes Geld in die Stiftung fließen zu lassen, um in den Genuß eben jener Vorteile zu gelangen. Aber so wichtig die Arbeit von Liberata war, es gab noch viele andere Projekte, die Geld benötigten, und wenn jemand verlangte, die Mittel der Stiftung nur für die in der Satzung vorgesehenen Zwecke zu verwenden, so war das, als würde man Gott auf seine eigenen Gebote festnageln wollen.
    Das Gesetz ist ein Esel. In jeder Sprache, die sie kannte, gab es ein Sprichwort für diesen Sachverhalt, aber keine formulierte es so treffend und prägnant wie die englische, vielleicht, weil das Gesetz in England ganz besondere Eseleien ausheckte. Es taugte nicht schlecht dazu, Menschen vor unrechtmäßiger Verhaftung zu bewahren, und es bot hervorragenden Schutz gegen Folter und andere grausame, absonderliche Strafen, aber wenn es darum ging, die Unschuldigen und Ahnungslosen vor der finanziellen Ausplünderung durch die Skrupellosen zu schützen, erschien es löchriger als ein hingerichteter Kollaborateur.
    Sie lächelte, teils über die Erinnerungen, die dieses Bild weckte, teils aus Vorfreude darüber, daß bald ein großes Unrecht ausgeräumt werden sollte. Aber nur, wenn sie es schaffte, wieder zu ihrer früheren geistigen Leistungsfähigkeit zurückzufinden. Mit den Jahren hatte sie entdeckt, daß ihr manches nachgesehen wurde, wenn sie so tat, als sei sie bloß eine bekloppte Alte. Aber jetzt entsann sie sich einer Warnung eines alten, verehrten Mentors aus jenen wilden, verrückten Kriegsjahren:
Bei unserer Arbeit droht uns die eigentliche Gefahr nicht durch Kugeln und Verrat, sondern dadurch, daß wir zu dem werden könnten, was wir zu sein vorgeben.
    Sie schloß die Augen und dachte erschöpft: Vielleicht bin ich inzwischen wirklich nur noch eine bekloppte Alte.
    Als sie die Augen wieder aufschlug, war sie froh, das Portrait ihrer Eltern vor sich zu sehen, und nicht ihr eigenes Spiegelbild. Auch wenn es ihr vorkam, als blicke Macallum mit noch grimmigerer Zufriedenheit auf sie herab.
    »Tut mir leid,
oteko
«, sagte sie, »aber ich bin noch nicht soweit, daß ich mich hinlege und sterbe.«
    Sie brauchte nur ein neues Versteck zu finden.
    Als Mrs. Stonelady ihr gestern erzählt hatte, daß die jungen Männer abreisten, war ihr das Cottage als der geeignete Ort erschienen. Die alte Frau hatte sich weder gewundert noch Neugier gezeigt, als sie hörte, daß eine Freundin von Miss Macallum ein paar Tage dort wohnen würde, aber sie hatte die Geistesgegenwart besessen, Feenie heute morgen sofort anzurufen, als sie Daphne Aldermanns Nachricht auf dem Anrufbeantworter abhörte. Die dumme Kuh hatte ihre Ankunft für den frühen Nachmittag angekündigt, und selbst mit den Komplikationen, die das Eintreffen der wirren Wendy, an die sie überhaupt nicht mehr gedacht hatte, mit sich gebracht hatte, wäre ihr eigentlich noch genug Zeit geblieben. Folglich war der Schock ziemlich groß, als sie um elf auf den Wagen der Aldermann stieß – mit Ellie Pascoe nebst Kind als Insassen und einer Polizistin im Gefolge.
    Na ja, das hatte sie ganz gut hingekriegt, und im Vergleich zu Situationen, mit denen sie in der fernen und doch nicht so fernen Vergangenheit fertiggeworden war, als der Preis für einen Fehler eine Kugel in deinem Rücken oder eine Landmine unter deinem Lastwagen gewesen wäre, war das wirklich eine Lappalie.
    Sie schnitt ihrem Vater eine Grimasse und machte sich an die Arbeit. Zehn Minuten später kam sie aus der Vordertür und ging, eine

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