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Das Haus an der Klippe

Das Haus an der Klippe

Titel: Das Haus an der Klippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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ertappt worden zu sein, wie sie den Körper der Älteren mit einem derart abschätzigen Blick maß.
    »Ich dachte, Sie gehen vielleicht auch ins Wasser«, sagte Daphne. »Es ist herrlich. Das Handtuch reicht für uns beide.«
    »Nein, danke«, sagte Novello. »Schwimmen Sie immer nackt?«
    »Meistens. Wieso? Stört es Sie?«
    Bei einem Mann nicht, dachte Novello.
    »Nein«, erwiderte sie.
    »Scheint mir aber doch so«, meinte Daphne liebenswürdig.
    »Sie haben wohl Angst, Ihre ohnehin schon ziemlich undankbare Aufgabe würde noch dadurch kompliziert, daß eine alternde Lesbe ein Auge auf Sie wirft? Glauben Sie mir, ich bin so geradlinig hetero, mich könnte man als Lineal für Baupläne benutzen. Wie Ellie immer sagt, ich bin ein Opfer meiner Erziehung. Das Leben in einem Mädchenpensionat hat mir jede Hemmung genommen, mich vor meinen Geschlechtsgenossinnen zu entblößen, während es mir gleichzeitig eine beinahe viktorianische Schamhaftigkeit eingeimpft hat, was den zudringlichen Blick von Männern betrifft. Deshalb bin ich auch von den Felsen zurückgeschwommen, als ich den Kerl oben auf der Klippe sah.«
    Novello, noch ganz benommen von der Sonne, brauchte einen Moment, um darauf zu reagieren.
    Dann setzte sie sich kerzengerade auf und fragte: »Welchen Kerl?«
    »Irgendein Bauer höchstwahrscheinlich, der wohl geglaubt hat, heute sei sein Glückstag. Ich habe ihn entdeckt, als ich nach oben schaute, aber dann hat er sich geduckt, um nicht gesehen zu werden, und ich bin zurückgeschwommen. Das ist immer das Beste. Das schlichte männliche Gemüt könnte sonst meinen, daß es einem nichts ausmacht, begafft zu werden.«
    Novello sprang auf, zog ein kleines Fernglas aus ihrem Gürteltäschchen, rannte bis ans Wasser und suchte von dort aus den Rand der Klippen ab.
    Roter Fels, blauer Himmel, kreischende Seevögel. Das einzige Anzeichen menschlicher Gegenwart war ein seltsames Gebäude, das ein Stück weiter nördlich gefährlich nah an eine Klippe gebaut war. Auf dem Grundstück der Stadtstreicherin.
    »Kein Grund zur Panik. Es wird Donald gewesen sein, Mrs. Stoneladys Sohn, der ist völlig harmlos«, rief Daphne.
    Novello achtete nicht auf sie. Etwas hatte sich bewegt. Sie korrigierte leicht die Entfernungseinstellung, und plötzlich hatte sie ihn scharf im Blickfeld, nur für einen Moment, von der Seite, oder mehr von hinten, nicht im Profil, wie er sich in südlicher Richtung auf dem Pfad, der am Rand der Klippen entlangführte, bewegte. Nicht besonders groß, dunkles Haar, schon war er wieder weg. Sie beobachtete weiter die Klippen, in der Hoffnung, er würde sich noch einmal zeigen, aber vergeblich.
    Plötzlich waren ihre brandneuen Turnschuhe von Wasser bedeckt. Die Flut kam herein. Man mußte wirklich ständig auf der Hut sein.
    Rasch sprang sie vor, ging zu Daphne zurück und nahm ihr Handy vom Gürtel.
    »Welche Nummer hat das Cottage?«
    Daphne nannte sie ihr, meinte aber, während sie noch wählte: »Ich glaube nicht, daß Sie durchkommen. Selbst ohne die Klippen sind die Funkverbindungen in Axness notorisch mies. Sogar die Leitungen sind nicht besonders zuverlässig. Nosebleed ist oft nicht zu erreichen.«
    Sie hatte recht. Es kam keine Verbindung zustande.
    Novello befestigte das Handy wieder an ihrem Gürtel und sagte: »Hören Sie, ich klettere jetzt wieder rauf und sehe mich um. Sind Sie hier fertig?«
    »Ich wollte erst noch ein bißchen in der Sonne trocknen und dann zum Cottage zurückgehen.«
    »Gut, wir sehen uns dort.«
    »Schön. Aber ehrlich, Shirley, ich glaube nicht, daß es irgendeinen Grund zur Sorge gibt.«
    »Da haben Sie wahrscheinlich recht, aber meine Vorgesetzten mögen das Wort
wahrscheinlich
nicht.«
    Sie stieg die Klippe hinauf. Das war leichter als der Abstieg, wenngleich sie trotz ihrer im Fitneßcenter gestählten Muskeln schwer atmete, als sie oben ankam.
    Nichts regte sich auf den Klippen Richtung Gunnery House.
    Sie blickte nach Süden. Nichts.
    Das
konnte
bedeuten, daß der Spanner nach Nosebleed gegangen war, nachdem er sich vergewissert hatte, daß die beiden Nicht-Pascoes am Strand beschäftigt waren.
    Auch wenn es unlogisch war, sie hatte das Gefühl, ausgetrickst worden zu sein, und machte sich im Laufschritt auf den Weg zum Cottage.

Sieben
    Der Gesang der Sirenen
    E llie saß in einem Gartenstuhl, der schmiedeeisern aussah, aber weich wie Schaumgummi war (wo bekam Patrick bloß solche Gartenmöbel her?). Sie trug einen schlaffen Sonnenhut und ein weites

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